Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Köln hat Walter Braunfels einiges zu verdanken. Am nachhaltigsten die Gründung und langjährige Leitung der Musikhochschule. Der einst enorme Ruhm des Opernkomponisten Braunfels ist indes verblasst. Das liegt nicht nur an der bitteren Zäsur, die die hoffnungsvolle Karriere des halb-jüdischen Musikers im Dritten Reich unterbrach, sondern auch an der konservativen Handschrift des Komponisten, die auf der Linie eines Hans Pfitzners oder Siegfried Wagners anzusiedeln ist. Eine ähnliche Renaissance, wie sie Franz Schreker oder Alexander von Zemlinsky ausgelöst haben, ist im Falle von Walter Braunfels nicht zu erwarten. Das haben frühere Aufführungen der Vögel nach Aristophanes in Köln 1998 und Das Leben ein Traum in Bonn vor zwei Jahren nicht geschafft. Und auch der neue Kölner Kraftakt mit dem erst 2001 zum ersten Mal erklungenen Opern-Oratorium Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna dürfte den Bann nicht brechen. Und das, obwohl die aktuelle Produktion die früheren Bemühungen um Braunfels um Längen schlägt.
Die Handlung der dramaturgisch locker gefügten Szenenfolge des 1938 bis 1943 in Überlingen entstandenen Werks folgt im Wesentlichen der Legende um die heilige Johanna, wobei sich Braunfels in seinem selbst verfassten Libretto an George Bernard Shaws Erfolgsstück Saint Joan orientierte, ohne freilich Shaws pointiert ironische Distanz einzunehmen: Johanna fühlt sich von Heiligen berufen, das Elend des französischen Volks zu beenden und Orléans von den Engländern zu befreien. Es folgt der intrigante Prozess mit dem bekannten Ende der jungen Frau. Braunfels interessiert sich, wie auch Shaw, weniger für die politischen Verwicklungen und Fallstricke, die zu der Katastrophe führten, sondern mehr für das Wohlergehen des Volks. Johanna tritt eher als Helferin der Beladenen denn als militante Heroine in Erscheinung. Die Männerwelt entpuppt sich als schwach, wankelmütig und treulos. Selbst der Großinquisitor zeigt wenig Rückgrat. Er verzeiht zunächst der einsichtigen Johanna, verurteilt sie jedoch zu lebenslanger Kerkerhaft. Als sie entsetzt Widerruf einlegt, lässt er sie verbrennen. Allerdings in der Gewissheit: „Wir haben eine Heilige verbrannt“.
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Es ist eine Welt, die aus allen ethischen Fugen geraten ist. Das zeigt sich am eindringlichsten im gewaltigen Bühnenbild von Stefan Heyne, der die Möglichkeiten des Staatenhauses voll nutzt und quasi die gesamte Bühne inklusive der riesigen Rückwand mit Wohlstandsmüll anhäuft. Von Flugzeugteilen über Autowracks bis zu Alltagsgegenständen entsteht eine Landschaft, bei der offenbleibt, ob das Chaos einer Müllhalde entstammt oder einem Bombenangriff. Das Ergebnis ist das gleiche. Die Menschheit wird von Konsum und Gewalt überrollt. Heyne schiebt die Spielfläche ins Parkett hinein und nutzt zusätzlich den Zuschauerraum. Damit schafft er Raum, da das Bühnenbild die Bewegungsfreiheit der Sänger arg beschneidet, ja sogar gefährdet, wie die Generalprobe gezeigt hat. Die Figuren, ob König oder Bauer, zappeln auf der Halde wie Insekten, sind oft nur schemenhaft erkennbar.
Regisseurin Tatjana Gürbaca hält den Chor dennoch in steter Bewegung, wenn auch oft in tranceartigem Zeitlupentempo. Die Figuren führt sie detailgenau ohne aktionistischen Ehrgeiz, so dass die oratorienhafte Aura des Werks gewahrt bleibt. Es sind einfache, klare Bewegungsmuster, die oft in Posen erstarren, aber durchaus schlüssig wirken. Die strenge Choreografie lockert die Regisseurin nur, wenn es Johanna darum geht, den verzweifelten Flüchtlingsströmen Trost zu spenden. Der merkwürdigen Mischung aus Mysterienspiel und Sozialdrama, die das Verständnis des Stücks erschwert, kann freilich auch die Regisseurin nicht zu größerer Schlüssigkeit verhelfen. Der zum Katholizismus konvertierte Komponist mag die göttliche Berufung Johannas und ihre sozialpolitische Botschaft als bruchlose Einheit empfinden. Ohne die ironische Distanz der Shawschen Vorlage wirkt das Werk heute doch recht devotionalienhaft plakativ.
Lothar Zagrosek, der versierte Kenner und Liebhaber vergessener Schätze, der sich um Braunfels bereits mit einer vorzüglichen Einspielung der Vögel verdient gemacht hat, sieht das offenbar anders. Die orchestralen Qualitäten, die sich vor allem in eindrucksvollen Chorszenen niederschlagen, bringt er mit hingebungsvoller Detailgenauigkeit und Leidenschaft zum Leuchten. Auch den stellenweise eher trockenen Monologen gewinnt er soviel Spannung wie möglich ab. Dass eine Spielfläche das Orchester trennt und dabei die tiefen Streicher, Blech und Schlagzeug auf die rechte Seite gebannt werden, der Rest auf die linke Seite, stört den Gesamtklang erstaunlich wenig. Hier erweist sich auch die Hallenkonstruktion des Staatenhauses als akustisch günstig.
Eine Hauptrolle in dem mit über 20 Solo-Partien aufwändig besetzten Stück nimmt der von Andrew Ollivant vorzüglich einstudierte Chor inklusive der Kinder des Kölner Domchors ein, der sich durch die anspruchsvollen szenischen Aufgaben nicht irritieren lässt. Als „halsbrecherisch“ im doppelten Sinne erweist sich die Titelrolle. Natalie Karl brach sich bei der Generalprobe in der unwirtlichen Bühnenlandschaft einen Fußknöchel. Ersatz zu finden für diese nahezu unbekannte Rolle war geradezu unmöglich, aber nur fast. Die restlichen Aufführungen übernimmt Stephanie Weiss – eine auch Juliane Banse – die den Part aus dem Orchestergraben singt. Und zwar mit großer, intensiver Stimme, die nicht ganz so jugendlich klingt wie die geschmeidige Regisseurin Tatjana Gürbaca aussieht, die die Rolle szenisch darstellt. Zum Glück ohne imitierende Lippenbewegungen, so dass die Verlorenheit und Isolation der am Ende von allen verlassenen Figur noch eindringlicher wirkt.
Mit der Besetzung der restlichen Rollen zeigt die Kölner Oper, dass sie ihre Verantwortung für das gute alte Ensembletheater nicht aufgegeben hat. Kein einziger nennenswerter Ausfall ist anzumerken. Im Gegenteil: Matthias Klink als Karl von Valois, Oliver Zwarg als Gilles de Rais oder Bjarni Thor Kristinsson als feindlicher Herzog de la Trémouille als herausstechende Protagonisten seien nur stellvertretend für die glänzende Verfassung des Ensembles genannt.
Viel Beifall für einen anspruchsvollen, aber interessanten Abend, der Hoffnung auf eine stabile Zukunft des nicht nur durch bauliche Maßnahmen gebeutelten Hauses spendet, auch wenn der Weg zum Glanz früherer Zeiten noch sehr weit ist.
Pedro Obiera