Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Eun Sun Kim - Foto © privat

Aktuelle Aufführungen

Putzmunteres Diven-Upgrade im Karneval

DER GRAF VON LUXEMBURG
(Franz Lehár)

Besuch am
5. Januar 2016
(Einmalige Aufführung)

 

 

Kölner Philharmonie

Solle die Operette eine ihr angemessene Zukunft haben, brauche sie eine Aufführungspraxis, die ihrer wahren Stellung im Kultur- und Musikbetrieb gerecht wird. So lautet eine zentrale Erkenntnis des Symposiums unter dem Dach der Komischen Oper Berlin vor einem Jahr, bei dem sich einschlägig versierte Wissenschaftler und andere Experten mit dem häufig als oberflächlich verschrienen Genre auseinandergesetzt haben. Orientiert hieran, startet die Aufführung von Franz Lehárs 1909 in Wien herausgekommener Salonoperette Der Graf von Luxemburg in der Kölner Philharmonie mit einem strukturellen Handicap. Konzertant geht der Dreiakter über die Bühne, die es im klassischen Sinne nicht gibt, geben kann. Das Orchester ist wie bei Konzerten auf dem Podium positioniert, der Chor auf der Empore. Die Solisten bewegen sich unter gleißendem Licht vorn am Rand des Podiums, von den ersten Parkettreihen zwei, drei Meter entfernt. In dem etwa zur Hälfte gefüllten weiten Rund der Philharmonie dominiert das Stammpublikum der Operette. Jüngere Besucher muss man mit der Lupe suchen. Es baut sich eine freundliche, punktuell auch fröhliche Stimmung auf, die sich aber gegen das Statische des Gesamteindrucks nicht durchsetzen kann. So, kein Zweifel, hat die Operette Gegenwart, aber keine Zukunft.

Gemessen an diesen gesetzten, aber auch unwirtlichen Rahmenbedingungen, schlägt sich die am Silvesterabend in der Oper Frankfurt erstmals gespielte Produktion mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester sowie dem Chor der Oper Frankfurt durchaus respektabel. Lehárs Komposition auf ein Libretto von Robert Bodanzky und Alfred Maria Willner variiert mit dem Schwung des großen Spaßmachers einen Stoff, der zu den favorisierten Sujets der Gattung überhaupt gehört: die Verwechselungskomödie. Hier ist sie im Milieu der Pariser Gesellschaft um 1900 zwischen der nicht zuletzt durch Puccinis Oper in Mode gekommenen Bohème einerseits und dem Adel andererseits angesiedelt, der sich längst in Richtung Auslaufmodell bewegt. Verwegen oder auch lächerlich genug: Fürst Basil Basilowitsch ist entschlossen, sich mit der Sängerin Angèle Didier, dem Prototyp einer Diva, zu verbinden, auf ewig natürlich, und für das hierzu nötige standesgemäße gesellschaftliche Upgrade einen Plan ausgedacht. Der finanziell heruntergekommene Bohemien Graf René von Luxemburg soll die Angebetete gegen Entgelt zum Schein heiraten und sich nach kurzer Zeit wieder scheiden lassen. So wäre der Weg frei und der Schein der noblen Fassade einmal mehr gewahrt. Doch es kommt mit allerlei Verwicklungen letztlich anders, kurioserweise auf Grund von Einsicht in die Notwendigkeit.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Clou dieser Maskerade: Sie spielt im Karneval und bietet gerade in Köln, der Hochburg der fünften Jahreszeit, eine Fülle an Gelegenheiten, durch Gags, spielerische Pointen und simple, aber wirksame Teil-Kostümierung der Aufführung eine gewisse Vitalität zu vermitteln, ihr den Charakter des allzu Statischen zu nehmen. Im famos mitspielenden und ebenso singenden Chor, einstudiert von Tilman Michael, setzen Hütchen und Fähnchen Akzente, bildet sich ein „Elferrat“ in der vorderen Reihe, der die Herzen des Kölner Publikums trifft. Dank der witzigen Dialogfassung von Dorothea Kirschbaum eröffnen sich den Sängerdarstellern allerlei Gelegenheiten, sich und ihre Rollen in einer Art Stegreif-Theater vorzustellen. Dazu gibt es effektvolle Auf- und Abgänge. Roben machen Eindruck, Wodkaflaschen und -gläser, die großzügig gereicht werden, ohnehin. Manche in den Text geschmuggelte Anspielung zündet. Was, bitte schön, soll denn Paris während der Session sonst sein als ein Vorort von Köln?

Daniel Behle - Foto © Marco Borggreve

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester ist in bester Spiellaune und wie die übrigen Akteure bei Eun Sun Kim, der Dirigentin, in besten Händen. Die Koreanerin, die demnächst mit Lucia di Lammermoor ihr Debüt an der Kölner Oper geben wird, führt mit Vehemenz durch den Abend. Sie agiert mit einer Energie, der sich wohl auch ein Polizeiorchester und ein Marinechor gefügt hätten.
Abweichend von den Versprechungen, die die Papierform des Sängeraufgebots verheißt, stellen sich im Verlauf des Abends einige Überraschungen ein. Die größte Brillanz entwickelt Sebastian Geyer, der den Basilowitsch mit Hingabe spielt und ihm mit seiner kultiviert geführten Baritonstimme markante Konturen verleiht. Ihm steht in der Titelrolle Daniel Behle kaum nach. Sein Tenor hat lyrischen Schmelz und robuste Kraft, je nach Situation und Nuance, lässt einen Entwicklungsprozess erkennen. Ausgehend vom Part des Artabano 2012 in der CD-Einspielung von Vincis Artaserse mit Concerto Köln etwa, hat sich Behle jedenfalls auf eine Reise zu anspruchsvolle(re)n Rollen gemacht, die vielversprechend ist. Zu den Aktivposten sind zudem die Akteure des „Buffo-Paars“, Simon Bode als Künstler Armand Brissard und Louise Alder, die die kokette Juliette Vermont gibt, zu nennen. Tenor und Sopran harmonieren ganz wunderbar, weil sich hier zwei stimmige Timbres treffen und verbinden. Merkwürdigerweise ist es die Engländerin Alder, die unter den Sängerinnen der Aufführung als Einzige voll textverständlich singt und spricht. Bei den Sängern geht dieser Punkt mit weitem Abstand an Geyer.

Einen heterogenen Eindruck hinterlässt die Starbesetzung der Produktion, Camilla Nylund als Angèle Didier. Unbestritten dürften die Fähigkeiten der finnischen Sopranistin in großen dramatischen Partien in Opern von Strauss und Wagner sein. Diese bringt sie auch souverän in die Gestaltung der umschwärmten Sängerin ein. Die Wucht dieser Disposition liegt aber ein Stück quer zu dem eher schlanken, sanguinen Profil dieser Rolle, ganz so, als würde eine Bassklarinette heimlich in ein Flötenquartett platziert. Die Gunst der Stunde, sprich: die eigentlich dünn gesäten Auftritte, ergreift Margit Neubauer als Gräfin Stasa Kokozow mit komödiantischer Professionalität und auch Fortune. Ein karnevalistisch inspiriertes Auditorium schätzt eben solche Figuren, erst recht dann, wenn sie über einen so ausgereiften Mezzosopran verfügen wie Neubauer. Die weiteren Sängerdarsteller, Ludwig Mittelhammer als Notar, Ingyu Hwang als russischer Botschaftsrat und Gurgen Baveyan in der Rolle des Munizipalbeamten, erfüllen ihre Aufgabe recht passabel.

Das Publikum entlässt die Mitwirkenden erst nach anhaltendem, großem Applaus, der sich auf alle letztlich ziemlich gleich verteilt. Wie sagten noch die Experten beim Berliner Symposium? Die Operette habe durchaus Zukunft. Wird der Faden ein Stück weiter gesponnen, könnte dies ausnahmsweise sogar für die konzertante Variante gelten. Dann aber nicht mit den Süßstoffen, die jedermann kennt, sondern mit denen aus dem großen Repertoire, die es verdienten, aus dem Archiv gezogen zu werden. Gerade in Köln, der Stadt Jacques Offenbachs. Wer kennt schon seine Operetten Die verwandelte Katze, Die Schwätzer oder Totos Schloss?

Ralf Siepmann