Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
5. März 2016
(Premiere)
Wie heißt es doch so schön: Der erste Eindruck zählt. Vielleicht hat es sich die Neuinszenierung von Don Giovanni auf den ersten Blick mit dem Premierenpublikum verscherzt. Denn kaum wird der leichte Vorhang während der Ouvertüre zur Seite gezogen, rieselt er schon vom Bühnenhimmel herab: Schnee. Draußen ist grau-kaltes Schmuddelwetter, durch das das Publikum angereist ist. Einige nutzen dafür auch die neue Transportmöglichkeit, die Opernfähre Strolch, die vom Musicaldom, dem alten Domizil der heimatlosen Oper Köln zum neuen Übergangstheater, dem Staatenhaus, übersetzt. Die Jungfernfahrt am Premierenabend wird von einem Bläsertrio des Gürzenich-Orchsters musikalisch begleitet. Eine schöne Idee. Eine andere Idee wäre auch, einen Rückfahrplan im Staatenhaus aufzuhängen, damit man weiß, wann man die Heimreise über den Rhein antreten kann oder muss.
Jedenfalls ist es draußen grau und drinnen nun auch, was man natürlich nicht Regisseurin Emmanuelle Bastet und ihrem Ausstatter Tim Northam vorwerfen kann. Aber schon während der spannungsarm bespielten Ouvertüre befürchtet man, dass es ein langer Abend werden kann. So kommt es auch. Die Grundidee ihres Konzeptes ist schnell klar und spiegelt sich im Bühnenbild wider. Northam beginnt mit einem auf ein Minimum reduzierten Bühnenbild. Ein großer Schreibtisch ist Don Giovannis Ausgangspunkt, sein Reich ist wie ein Gefängnis durch zwei hohe Gitterwände an den Seiten beschränkt. Je weiter sich Don Giovanni verstrickt, desto mehr dieser Gitter tauchen auf. Aus dem Boden fahren sie nach oben, von links nach rechts rollen sie herein, von der Decke fallen sie überraschend nach unten, drohen den Verführer zu erschlagen. Das könnte spannend sein, aber man sieht sich an diesem Einheitshochglanzgitter innerhalb der ersten zwanzig Minuten satt. Auch der Schnee im Einklang mit der kalten Beleuchtung von Franҫois Thouret verliert seinen Reiz recht schnell. Denn das eigentliche Problem ist, dass man diese Bühne mit einer spannenden Personenführung nun in das Reich von Leidenschaften und Emotionen verwandeln müsste. Doch die größte Stärke in der Personenführung von Bastet ist nur die Beleuchtung des Verhältnisses von Donna Anna und Don Ottavio, denen man endlich mal zutrauen kann, dass sie ein Paar sind. So viele zärtliche Momente hat ihnen wohl noch kein Regisseur zugestanden. Auch die permanente Anwesenheit des beobachtenden Don Giovanni ist eine der wenigen – wenngleich es da einige Reibungen mit dem Text gibt – Konstanten in einer langweiligen Inszenierung.
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Wenn schon die erste kurze Auseinandersetzung zwischen Don Giovanni und dem Komtur so aussieht, als würden sich zwei Katzenbabys hauen, dann kann eine kurz darauf folgende Schneeballschlacht tatsächlich ein Aufreger sein. Auf dem Schreibtisch von Don Giovanni kann man dramatisch gut platziert singen. Wer noch höher hinaus möchte, klettert einfach wie Spiderman an den Gittern nach oben. Allein, es mangelt viel zu oft an der Motivation. Das betrifft auch die dramaturgisch völlig aus dem Nichts auftauchende erotische Party im Stile von Stanley Kubricks Eyes Wide Shut im Finale des ersten Aktes. Die roten Capes der Statistinnen mit Dessous darunter, sind eine wohltuende optische Abwechslung zur mehr oder weniger schönen Alltagsmode der Darsteller. Donna Anna darf den Abend übrigens im weißen Kleid mit dem Blut ihres Vaters darauf verbringen.
Wenngleich den Sängern viel Bewegung verordnet ist, erscheint sie oft wenig sinnvoll und noch viel weniger werden die Charaktere dadurch beleuchtet. Größtes Opfer dieser Nachlässigkeit ist der Leporello des wunderbaren Tareq Nazmi, der bei seinem Rollendebüt viel mehr Unterstützung gebraucht hätte. Eine wirklich schöne und gut geführte Stimme und eine präsente, agile Erscheinung, die in einer der dankbarsten Rollen der Oper leider nicht genutzt werden. Er und seine Mitstreiter retten den Abend dadurch, dass sie – während sie hilflose und abgenutzte Theatergesten vollbringen müssen – zu einem Mozart-Ensemble zusammenwachsen. Das ist bei einer Oper wie dieser schon mal die halbe Miete. Besonders gut wissen die Damen zu gefallen: Hervorragend gestaltet Regina Richter eine emotionale Donna Elvira fern jeglicher Keiferei und Hysterie – und darf wie als Strafe ihr Mi tradi nicht singen. Unglaublich! Aoife Miskelly gibt mit ihrem samtweichen Sopran der Zerlina mehr Profil als ihr szenisch möglich ist. Rollenbedingt kann Vannina Santoni als Donna Anna mehr auf der Bühne zeigen. Ihr unforcierter, obertonreicher Sopran wird vom Publikum am Ende bejubelt. Sie hat mit Julien Behr einen einfühlsamen Don Ottavio an ihrer Seite, der bei Dalla sua pace mit hohem Risiko singt. Nicht fehlerfrei, aber dennoch mit großer Wirkung. In seinem selbstbewussten Auftreten hat er das Zeug zum Gegenspieler für Don Giovanni, nur dem Il mio tesoro fehlt diese Kraft noch. Luke Stroker ist ein sympathischer, tadellos singender Masetto, aber so eine kleine Rolle geht in diesem Rahmen schnell unter. Avtandil Kaspeli wird darstellerisch als Komtur nicht genutzt. Auch er hinterlässt allein durch seinen Bass einen guten Eindruck.
Die nicht einfache Akustik im Saal zwei des Staatenhauses weht ihre Stimmen teilweise wie aus dem Nachbarraum ins Publikum hinein. Stattdessen sind Geräusche wie herabfallende Programmhefte und gelangweilt seufzende Nachbarn umso präsenter. Als Retter in dieser Situation treten der neue musikalische Leiter der Oper Köln, Franҫois-Xavier Roth, und das überragend aufspielende Gürzenich-Orchester auf. Das ist wohl der leiseste, intensivste Don Giovanni, den man in diesen Breitengraden jemals gehört hat. Selten hat man so deutlich auch die Pausen in dieser Partitur als Gestaltungsmoment wahrgenommen. Im Gegensatz zur Inszenierung verlieren die Musiker nicht einen Augenblick den Spannungsbogen und zwingen das Publikum damit zur äußersten Ruhe des Hinhörens. Es gibt unglaubliche Momente des Pianos, wie die Canzonetta des Don Giovanni im zweiten Akt. Jean-Sébastian Bou mag es ein bisschen an Farben in seinem geschmeidigen Bariton mangeln. Aber die unermüdliche Dauerpräsenz, die stimmliche, konsequente Beherrschung der Rolle nicht zuletzt in diesem Piano zeichnen ihn aus. Bravo!
Penibel achtet Roth darauf, die Sänger niemals zu überflügeln, damit Text und Gesang das Publikum erreichen. Das Orchester darf stattdessen seine Qualitäten in Raffinessen zeigen: Wie sich die Streicherstimmen in den magischen Harmonien ergänzen, wie die Holzbläser schwebende Momente erzeugen – das hat schon Referenzstatus. Wenn Pauken und Posaunen dann mal zupacken dürfen, dann hinterlässt dieses Forte auch einen Effekt. Nicht unerwähnt bleiben darf Theresia Renelt am Hammerflügel für ihren Einsatz in den Rezitativen. Zu Recht bringt sie Roth zum Applaus mit nach vorne.
Hier passiert dann das, was eigentlich nicht passieren darf: Das Publikum, durch einen langen Abend ermüdet, straft Sänger und Musiker mit einem lahmen Applaus ab, den sie nicht verdient haben. Dass dieser Applaus noch stiller wird, als das Regieteam auf die Bühne kommt, ist mehr als bezeichnend. Ein paar Bravo-Rufer und noch mehr Buh-grummelnde Zuschauer geben dem Ganzen wenigstens den Hauch von einer diskussionswürdigen Arbeit. So schnell ist ein Premierenapplaus in Köln selten vorbei gewesen. Auf der Rückfahrt schneit es übrigens wieder.
Christoph Broermann