Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Eine ganz natürliche Angelina

LA CENERENTOLA
(Gioachino Rossini)

Besuch am
16. April 2016
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Mit Märchen kennt die Oper Köln sich aus. Legendär die Geschichte vom tapferen Ritter Laufenberg gegen die böse Kulturpolitik, oder aktuell die Mär vom wunderschönen Opernhaus, von dem niemand weiß, ob es jemals fertig werden wird. Allerdings ist am Rhein die Definition vom Happy End eine andere als die, die für Märchen wie Aschenputtel gilt. Die Belcanto-Version dieser magischen Geschichte wurde von Librettist Jacopo Ferretti weitgehend aufklärerisch entstaubt. Lediglich wenn der Philosoph Alidoro dem Aschenputtel Angelina eine neue Zukunft prophezeit und dabei auf den allgütigen Gott verweist, hört man in Musik und Text die Andeutung eines höheren Prinzips. Von einer guten Fee will man aber bei Gioachino Rossini nichts wissen, von Schuhen auch nicht, und so erkennt Prinz Ramiro, nachdem er den Rollentausch mit seinem Kammerdiener Dandini rückgängig gemacht hat, seine Geliebte an einem Armband.

Seitdem die Kölner Oper sich im Exil befindet, sind konzertante Opern das Zauberwort auf dem Spielplan. Dabei gibt es eine Art wiederkehrendes Symbol, beziehungsweise drei davon. Die Kronleuchter, die die Bühnendecke des Saals 2 im Staatenhaus zieren, konnte man schon in einigen anderen Aufführungen „bewundern“. Dazu gibt es ein Chorpodest mit Treppe, davor eine Fläche mal mit, mal ohne Notenständer. Irgendwie wird dann doch die Oper auch szenisch aufgeführt, mit kleinen Gängen und Aktionen, die seit Jean-Pierre Ponelle bekannt sind. Für die Gewittermusik kommen sogar Lichteffekte und Donnergeräusche zum Einsatz. Das macht den Abend dann doch viel lebendiger als man erwartet hätte, aber es ist natürlich auch schwer bei dieser aktionsgeladenen, virtuosen Musik, ruhig zu bleiben.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Doch es sieht immer so uneinheitlich aus, wenn einige Sänger sich aktiv ausleben, während andere vor dem Notenständer stehen oder die Noten mit sich herumtragen. Selbst der Männerchor klebt mit den Augen immer wieder an den Noten, anstatt sich auf den Dirigenten zu konzentrieren. Ein paar Wackler gibt es trotzdem immer noch bei den sonst respektabel und eifrig singenden Herren, die Andrew Ollivant vorbereitet hat.

Foto © Klaus Lefebvre

So ganz fehlerfrei läuft dieses komponierte Wunderwerk mit seinen vielen feinen Rädchen bei der Premiere nicht. Das liegt natürlich auch daran, dass Dirigent Alexander Soddy das Gürzenich-Orchester ein bisschen auf Risiko spielen lässt. Von der Ouvertüre an setzt er auf schlanke Spritzigkeit, Virtuosität und gute Laune. Das kann kaum ohne den einen oder anderen Fehltritt gut gehen. Aber dafür lohnt es sich zuzuhören, wie Akzente gesetzt werden, wie sich die Streicher in die Musik hineinsteigern, oder wie die Holzbläser sich bestens gelaunt mit ihren funkelnden Einwürfen identifizieren. Soddy selbst tänzelt mit breitem Lächeln vor ihnen auf und ab, begleitet die Rezitative persönlich am Cembalo und fängt kleine Ausreißer mit erhobenem Zeigefinger wieder ein.

Dass ihm selbst der schönste Schnitzer des Abends passiert, macht ihn noch sympathischer. Nachdem er die Arie Sia qualunque delle figlie im zweiten Akt quasi auswendig dirigiert hat, verliert er im einsetzenden Rezitativ den Faden und findet auch kopfschüttelnd die passende Seite in der Partitur nicht mehr. Kurz darauf geht es aber doch weiter und dann wieder mit Durchblick.

Doch zurück zu dem etwas uneinheitlichem Konzept des Abends. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass vier Rollendebütanten auf drei erfahrene Hasen treffen. Zu letzteren gehört allen voran Carlo Lepore – ein Don Magnifico aus dem Bilderbuch. Mit umwerfender vis comica und wunderbar artikuliertem Parlando führt er die Eitelkeit des Barons vor. Für ihn alleine reicht die Bühne kaum aus. Auch Enea Scala spielt aktiv einen jungen Prinzen, der auf dem Skateboard in den Saal rollt. Er gibt sich mit trainierter Figur, feschem Haarschnitt und getrimmtem Bart ganz modern, schmachtet aber mit seinem schönen Tenor phrasenweise wie aus dem Zeitalter Carusos. Wenn die Stimme dann zu sehr nach oben rutscht, hört sich das etwas weinerlich an. Wenn sie aber auf dem Körper bleibt, dann gelingen ihm richtig schöne, strahlende Höhenflüge. Seine Koloraturen klingen dabei nicht ganz so selbstverständlich wie bei seiner geliebten Angelina. Adriana Bastidas Gamboa ist diese Rolle in ihrer ganzen natürlichen Erscheinung. Nichts wirkt bei ihr aufgesetzt, am wenigsten noch ihre Verzierungen und Koloraturen, die sie nie übertreiben einsetzt. Vom Beginn an, wenn sie ein im Orchester-Karee fallengelassenes Glas, gekleidet im Bühnenarbeiter-Overall, aufsammelt, schlägt sie die Zuhörer mit ihrer Stimme in den Bann.

Dagegen haben es zwei der Rollendebütanten schwerer. Der sympathisch-tapsig auftretende Bjarni Thor Kristinsson spielt den Alidoro mit Noten in der Hand, stößt mit seinem kehlig geführten Bass an technische Grenzen, wo man sich einfach eine freiere Stimme wünschte. Dafür kann man aber die Rolle in den Ensembles, wo sie gerne mal untergeht, besser ausmachen. Andrei Bondarenko scheint sein Debüt als Dandini mit etwas zu viel Respekt anzugehen. Er wirkt beim Singen steif und gehemmt und verlässt kaum den Notenständer. Dadurch bleibt die dankbare Rolle ohne Pepp. Wenn der verschmitzte Kammerdiener dann gelegentlich durchkommt, wird es augenblicklich besser.

Bleiben noch die beiden Stiefschwestern Clorinde und Tisbe. Sopran Dongmin Lee und Mezzosopran Judith Thielsen, beide in herrlich kitschigen Kleidern, sind Mitglied des Internationalen Opernstudios der Oper Köln und liefern diese beiden schwierigen Rollen mit Zwischen-, beziehungsweise Oberstimme ganz souverän und dazu auch noch pointiert ab.

Obwohl viele Rezitative gekürzt werden, kommt man gut auf drei Stunden Spieldauer. Aber in dieser Zeit kommt das Publikum schon auf seine Kosten, wenn die Akustik es denn zulässt. Wieviel die hinteren Reihen von der schon vorne leicht verwischt klingenden Musik mitbekommen, ist fraglich.

Beim Applaus klingt es dagegen, als wäre man mit seinem direkten Umfeld alleine im Saal. Zumindest bis das Fußtrampeln und die lauten Bravo-Rufe einsetzen. Die zahlreich zum Schlussapplaus aufstehenden Zuschauer machen deutlich, dass diese Cenerentola für den Augenblick ein Happy End für die Oper Köln bedeutet.

Rebecca Hoffmann