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Sie lebt in einer selbst konstruierten Traumwelt und ist völlig der Realität entrückt: So sieht zumindest Carlos Wagner, der schon in renommierten Opernhäusern wie Covent Garden, London, und Gran Teatro di Liceu in Barcelona inszeniert hat, die Titelheldin von Madama Butterfly von Giacomo Puccini am Stadttheater Klagenfurt. Mit ihrem von Anfang an weißen, hochzeitlichen, üppigen Kleid und ihren bewusst unnatürlichen, manierierten Posen wirkt Cio-Cio-San wie eine Kunstfigur aus einem Kabuki-Theater. Offenbar bewusst ausgespart bleiben vom Regisseur übertriebene Gefühle zueinander, wodurch die Liebesszene zwischen ihr und Pinkerton viel zu nüchtern wirkt. Lediglich, wenn Pinkerton das Schwert, mit dem Butterflys Vater Selbstmord begangen hat, in den Boden stößt, so, als wollte er einen Schmetterling aufspießen und damit auf das Libretto Bezug nimmt, hat das einen starken symbolhaften Touch.
Wagner zeigt die anrührende Oper als Theater im Theater. Vor einer Traumbühne, einem Theater im Kabuki-Stil mit verschiebbaren Elementen und fernöstlicher Ornamentik, die Bühne hat Rifail Ajdarpasic erdacht, sitzen die Zuschauer auf Theatersesseln. Sie sind meist als Touristen in Kostümen von Sonja Albartus westlich gewandet – die Freundinnen von Cio-Cio-San sind grell, pinkfarben im Manga-Style aufgemotzt – in einem realen amerikanischen Zuschauerraum und beobachten die anrührende Geschichte aus Fernost. Eine nicht unbedingt zündende und viel zum Stück beitragende Idee.
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Große Gefühle und Leidenschaften, ohne dabei Gefahr zu laufen, ins allzu Süßliche abzugleiten, verströmt hingegen das Kärntner Sinfonieorchester unter Alexander Soddy. Die Musiker spielen den schillernden Strom der herrlichen Melodien Puccinis süffig und schillernd und beeindrucken mit feinem Klang.
Große Gefühle finden sich auch bei der überwiegend qualitativ hochwertigen Sängerriege: Merunas Vitulskis erlebt man als den mit den Gefühlen leichtfertig spielenden Marineoffizier Pinkerton in der Tiefe etwas vibratoreich, in der Mittellage und Höhe mit strahlendem und höhensicherem Tenor. Gianfranco Montresor singt einen kernigen Konsul Sharpless und Anna Pennisi ist eine gefühlvolle Dienerin Suzuki, die etwas überzogen herumtrippeln muss. Von den vielen kleineren, gut besetzten Rollen ist noch Marlin Miller als Heiratsvermittler Goro hervorzuheben. Makellos singt der Chor des Stadttheaters, der von Günter Wallner einstudiert wurde.
Und die Titelheldin? Ihre feinen Piani sind betörend, ihre dramatische Durchschlagskraft ist enorm, ihr Sopran ist nuancenreich und reich an Farben: Liana Aleksanyan ist eine großartige und ungemein berührende Cio-Cio-San. Die armenische Sängerin kann die gesamte Gefühlspalette der unglücklichen Geisha, ihre Naivität, Freude und Verzweiflung berührend vermitteln. Besonders ihre große Arie Un bel di vedremo – Eines Tages sehen wir – im zweiten Akt wird zum Ereignis. Leider muss die Premiere dieser populären Oper gleich danach wegen einer Bombendrohung abgebrochen werden.
Als gleich nach der Arie im Zuschauerraum Licht wird, und der Vorhang zugeht, denkt man zuerst an einen speziellen Regieeinfall. Als dann aber der ziemlich aufgeregte Intendant Florian Scholz vor den Vorhang tritt und das Publikum bittet, sofort den Saal wegen einer telefonischen Bombendrohung zu verlassen, beschleicht viele ein flaues Gefühl im Magen. Auf Grund der derzeitigen kritischen Weltlage hat man sich zur Evakuierung entschlossen. Die geht dann sehr diszipliniert und ohne Panik über die Bühne, begleitet von immer mehr eintreffenden Polizisten, die sofort mit der Durchsuchung des Gebäudes beginnen und den Platz rund um das Theater großräumig absperren. Da die Opernbesucher, darunter auch der Landeshauptmann von Kärnten, Peter Kaiser, einige weitere Regierungsmitglieder und die Bürgermeisterin von Klagenfurt Marie-Luise Mattiaschitz, außer jene aus den Logen, ihre Mäntel und Jacken nicht aus den Garderoben holen dürfen, wird es draußen wartend bald vielen recht kalt, weswegen die umliegenden Lokale das Geschäft ihres Lebens machen. Hier finden sich auch Musiker und Sänger ein. Der Intendant pendelt als Informationsbote zwischen den Lokalen hin und her. Doch bald wird die Fortsetzung der Aufführung abgesagt. Erst nach 23 Uhr kommt die Entwarnung, dass nichts gefunden wurde und offenbar jemand einen bösen Scherz gemacht hat.
Der inszenatorische Ausgang und die finalen Publikumsreaktionen lassen sich derzeit nur erahnen und werden sich erst in einer der Folgevorstellungen erfahren lassen.
Helmut Christian Mayer