Kulturmagazin mit Charakter
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Wahrlich eine Oper aus der Versenkung. Geschrieben im Auftrag von der Wiener Hofoper unter Gustav Mahler, noch vor der Uraufführung nach Mahlers Weggang aus Wien vom Nachfolger abgesetzt und in den Archiven verschollen. Wiederentdeckt in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts und uraufgeführt in Nürnberg 1980, wurde sie danach noch im Theater Bremen 1989, im Theater Münster 1991 und an der Deutschen Oper Berlin 2007 aufgeführt..
Schwer das Schicksal des Komponisten selbst: Alexander Zemlinsky, geboren 1871 als Sohn eines katholischen Vaters und einer teils jüdischen, teils muslimischen Mutter, wurde zwar von Schönberg als sein einziger Kompositionslehrer und großer Komponist bezeichnet, wandte sich nach wechselvollen Erfolgen von der Oper ab und floh 1938 nach Amerika, wo er 1942 in Vergessenheit starb.
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Die Handlung der Oper wirkt wie die doppelte Verweigerung eines Außenseiters. Ein verwaister, aber durch sein Erbe abgesicherter Pfarrerssohn entzieht sich im ersten Akt seiner Braut Grete und der ihm fremden dörflichen Gemeinschaft, in der er aufwächst und der er durch sein Träumen und Bücher zu entrinnen versucht. Er folgt der Erscheinung seiner Traumprinzessin. Im zweiten Akt entzieht sich Görge dem Ruf einer revolutionären Menge, die ihn als Bote und Anführer gewinnen will, nachdem sein Verhältnis zur mutmaßlichen Hexe Gertraud angefeindet und das Paar angegriffen wird. Im Epilog erleben wir Gertraud und Görge, der in ihr seine Traumprinzessin erkannt hat, in einer dem Paar huldigenden Dorfgemeinschaft, die sich für den Wohlstand, den das Paar stiftet, bedankt. Diese Erzählung wird durch einen symbolistischen und extrem ungeschlachten Text von Leo Feld unterlegt, der heute kaum genießbar erscheint.
Die Musik ist mächtig und beinhaltet Elemente Mahlers, Wagners, Richard Strauss‘ und weiterer Zeitgenossen. Sie zieht den Hörer wie in einem Sog in ihre Gewalt, und man wünschte sich, dass eine Inszenierung der schwierigen Handlung zusammen mit dem Erklingen der Partitur einen Bezug für den heutigen Hörer kreiert. Das abstrahierte Tableau der Handlung böte dazu viele Ansätze.
Regisseur Johannes von Matuschka belässt die Umsetzung der Handlung im Märchenhaft-Abstrakten und arbeitet mit einer Vielzahl von feinsinnigen Bildern, die das Faszinosum im Zeitalter der Psychoanalyse in Wien zur Entstehungszeit nachvollziehen. Die Traumprinzessin hat einen endlosen, mittelblauen Federumhang, der ihren Unterleib beim Entschweben in die Höhen des Schnürbodens ins Unendliche weitet, und es gibt eine kleine Mannschaft von eher niedlichen denn furchterregenden Traumfiguren mit möglichst langen, spitzen Schnäbeln, die im weiteren Verlauf wie alte Bekannte die Bühne bevölkern. Das ist auch heute schön anzusehen, aber die Wirkung hält sich doch in Grenzen.
Dabei sind das Bühnenbild von David Hohmann und die Kostüme von Amit Epstein sowie die Lichtgestaltung von Elana Siberski mit erlesener Feinsinnigkeit gestaltet und aufeinander abgestimmt, die ebensolchen Details in Musik und Partitur sehr wohl entsprechen.
Aber Farbigkeit und Kraft der Musik hätten auch ganz andere Ansätze, Konzepte und Thesen verkraftet. Die Holprigkeit der Textvorlage ruft nachgerade nach einen szenischen Ausbruch. Dazu muss man nicht die Brechstange zum Einsatz bringen. Das Entrücktsein, konsequente sich Verweigern diversen gesellschaftlichen Situationen und Anforderungen gegenüber entspricht auch Bewegungen und Haltungen einiger seit den 1960-er Jahren „modernen“ gesellschaftlichen Gruppierungen in vielen westlichen Ländern, die zu vielen politischen oder gesellschaftlichen Themen eher eine Zaungastfunktion im Gegensatz zu aktiver Mitwirkung einnehmen. Diese Ausganglage gilt sogar auch für hochaktive, politische Initiativen auf Spezialgebieten, wie der Einbeziehung alternativer Lebensformen, die andere Lebensbereiche jedoch komplett aussparen. Auch diese könnten sich in Görges Haltung spiegeln.
Es ist ohne Zweifel verdienstvoll, das Werk musikalisch und szenisch mit dieser vierten Produktion seit der Uraufführung in Nürnberg wieder zur Diskussion zu stellen. Es scheint jedoch einen sechsten Anlauf zu erfordern, die vielschichtige Vorlage auch mit aktuellen gesellschaftlichen Erscheinungen zu verbinden.
Das Sängerensemble des Niedersächsischen Staatstheaters ist hervorragend, allen voran der Görge Robert Künzlis. Künzli ist Görge, so spielerisch-selbstvergessen und gesanglich perfekt, dazu mit außerordentlicher Textverständlichkeit. Sein Rollenportrait auch den drei Frauenfiguren Grete – Prinzessein – Gertraud gegenüber ist differenziert und intensiv. Künzli hat sich mit dieser Rolle eine große Interpretation erarbeitet, bei der ihm zu wünschen ist, dass er mit dieser Basis in einer weiteren Produktion glänzen kann – Bravo!
Die Frauen ebenfalls durchweg hervorragend: Kelly God gibt eine sensible, trotz aller Verfolgung liebensfähige Frau, deren fürsorgende Zuwendung Görges unbedingte Hinwendung klar motiviert. Gut besetzt auch die Grete als die erste Verlobte Görges mit dem ganzen anderen Typus der extrovertierten Solen Mainguené. Auch die Prinzessin in wieder anderem Timbre der Dorothea Maria Marx überzeugt voll und ganz.
Den schlichten Hans, der von weitem an Stewa in Leoš Janáčeks Jenůfa erinnert, spielt und singt Christopher Tonkin überzeugend und spielfreudig, und dem Rebellen Kaspar bleibt Stefan Adam nichts schuldig. In kleineren Rollen runden Tobias Schabel, Latchezar Pravtchev, Carmen Fuggiss, Edward Mout und Corinna Jeske das Sängerensemble treffend ab.
Der Chor der Staatsoper Hannover unter Dan Ratiu erfüllt die neuen und ungewohnten Aufgaben mit Freude und stimmlicher Sicherheit, als ob das Werk regelmäßig auf dem Spielplan stünde.
Das Niedersächsische Staatsorchester spielt farbenfroh, formschön, klanglich verführerisch und mit abwechslungsreicher Dynamik ohne die harfenglitzernden und anderen unter Umständen auch kitschig wirkenden Klanggebilde zu süßlich erscheinen zu lassen. Eine großartige Leistung zusammen mit dem Dirigenten und ersten Kapellmeister Mark Rohde.
Das Publikum feiert alle Sängerdarsteller mit starkem Beifall und Bravorufen. Die meisten Rufe erhält gerechterweise Künzli für seine im wahrsten Sinne traumhafte Leistung. Auch das Leitungsteam wird widerspruchslos gefeiert, besonders starker Beifall für das Orchester.
Achim Dombrowski