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Mit Toshio Hosokawas Stilles Meer präsentiert die Staatsoper Hamburg ein Auftragswerk des Hauses an den japanischen Komponisten.
Textbuchautor und zugleich Regisseur der Hamburger Produktion Oriza Hirata thematisiert die Katastrophe von Fukushima. Claudia, eine deutsche, ehemalige Balletttänzerin lebt in Japan, wohin sie ihrem zweiten Mann Takashi gefolgt ist. Der Tsunami hat ihn und ihren Sohn Max fortgerissen. Die Evakuierung nach der Atomkatastrophe hat die Bergung der Verschollenen seinerzeit verhindert. Stephan, ihr ehemaliger Freund und Vater von Max ist aus Deutschland angereist, um sie in ihre Heimat mitzunehmen. Sie ist dazu nicht in der Lage. Sie kann ihren Sohn Max nicht loslassen und entzieht sich durch den Vorschlag, dass ein jeder zu sich nach Hause gehen solle.
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Haruko, die Schwester von Takashi, schlägt vor, das Stück Sumidagawa zu spielen, in dem einer Mutter nach der Anrufung Buddhas ihr totes Kind wieder erscheint, bevor es für immer verschwindet. Unvermittelt erscheint die kleine Miyuki, Claudias Ballettschülerin. Ihr unschuldiges Spiel löst für einen Moment die Spannung, vermag Claudias Schmerz und ihre Bindung an den Ort des Verlustes jedoch nicht zu lösen.
Das No-Stück Sumidagawa evoziert nicht nur einen Bezug auf die alte japanische Schauspieltradition, sondern steht zentral für die szenische und musikalische Philosophie der Oper und deren Bühnenrealisierung.
Szenisch sind alle Handlungselemente durch einfache und klare, manchmal zeitlupenhafte Bewegungsabläufe der Protagonisten charakterisiert. Das Bühnenbild von Itaru Sugiyama besteht aus einem kreisrunden Glaspodest und einer aufsteigenden Rampe sowie zeitweise elf, meistens aber nur einer vertikalen, weißen Lichtsäule. Das Bild wird von Daniel Levy abgerundet durch klare und sanfte Farbmodulationen, oft über den gesamten Rundhorizont. Weiße und bunte Laternenfarben zum Gedenken an die Opfer ergänzen die Szene.
Die Musik zeichnet kalligraphisch die Inhalte und Diskurse der Handlung und widmet sich atmosphärisch eindrucksvoll Natur- und Meditationseindrücken. Szene und Musik folgen damit japanischen oder asiatischen Ausdrucksformen und basieren nicht auf einer psychologisierenden Form, wie sie in Europa gängig ist. Die Einbeziehung von elektronischen Toneinspielungen dient in Teilen dazu, das Hörerleben weiter indirekt malerisch zu entmaterialisieren. Die Umsetzung eines solchen Verständnisses von Realismus wird durch einfachste, wenige klare Formen, Bilder und Aktionen erreicht. Einer Kunst der Auslassung, der Stille kommt hohe Bedeutung zu. Fukushima als Name und Atomkatastrophe wird nicht erwähnt.
Die klaren und einfachen musikalischen Elemente erfordern beim Zuhörer und Zuschauer ein meditatives Element bei der Verfolgung von Musik und Szene. Hörgewohnheiten und -erwartungen, die auf differenzierten musiktheoretischen Entwicklungen moderner westlich-europäischer Schulen basieren, könnten wohl dazu führen, dass der Zuhörer enttäuscht wird.
Alle Solisten sind szenisch streng in der Tradition des No-Theaters geführt. Die Claudia der Susanne Elmark überzeugt durch ihre ruhige und überlegene Stimmführung und diszipliniertes Spiel. In der Countertenor-Rolle des Stephan tritt Bejun Mehta bei seinem Debüt an der Hamburgischen Staatsoper mit überlegener stimmlicher und szenischer Präsenz hervor. Mihoko Fujimura überzeugt gesanglich und darstellerisch als Haruko. Viktor Rud als Hiroto und Marek Gasztecki als Fischer runden das Solistenensemble überzeugend ab.
Zwölf Mitglieder der Vokalsolisten Hamburg unter der Leitung von Eberhard Friedrich ergänzen eindrucksvoll die gesangliche Realisation.
Kent Nagano hält die Fäden in Orchestergraben und auf der Bühne zusammen und findet mit dem Philharmonischen Staatsorchester eine überzeugende Balance des Hörbaren und des Nicht-Hörbaren. Fein-ziselierte Partitur-Elemente mit ungewohnt prominenten Rollen für Instrumente wie die Harfe wechseln ab mit selteneren, wellenartigen Eruptionen eines umfangreichen Schlagzeugapparates.
Das Publikum unter starker Präsenz japanischer Besucher spendet Bravorufe für alle Sänger, mit besonders starker Akklamation für Bejun Mehta, dem Orchester, der musikalischen Leitung von Kent Nagano und dem gesamten Leitungsteam. Der Komponist Hosokawa wird ebenfalls mit starkem Beifall geehrt. Er ist während der Produktion und in vielen weiteren Veranstaltungen vor und während der Uraufführung lebhaft präsent und erläutert gerne und mit Leidenschaft seine Musik und seinen Arbeitsstil.
Achim Dombrowski