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Die Staatsoper Hamburg übernimmt als letzte Premiere der ersten Spielzeit des neuen Teams Nagano und Delnon eine in Basel erfolgreiche szenische Umsetzung der späten Strauss-Oper Daphne. Die zumindest sprachlich schwerfällige Textvorlage von Joseph Gregor macht eine zeitgemäße Umsetzung dieser „Bukolischen Tragödie“, die der 73-jährige Richard Strauss 1937 vollendete und die wie viele andere Werke des Komponisten auch in Dresden zur Uraufführung kam, gewiss nicht einfach. Das Werk ist übrigens Karl Böhm gewidmet, der auch die Uraufführung dirigierte.
Es ist viel darüber spekuliert worden, inwieweit Strauss, der von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsmusikkammer war und viele andere Repräsentationsaufgaben im so genannten Dritten Reich wahrgenommen hat, mit diesem Werk auch eine Flucht vor den bedrückenden Verhältnissen seiner politischen Umgebung unternahm, oder – wie er zumindest immer wieder selbst äußerte – ja auch nur sein Geld verdienen musste. Jedenfalls ist die Abkopplung von der Realität in eine entrückte Kunstsphäre noch nicht so verstörend wie wenige Jahre später, als Strauss mit seiner Oper Capriccio, die mitten im Zweiten Weltkrieg nach bereits Millionen Toten im Oktober 1942 in München zur Uraufführung kommt, und sich in feinsinnigster Exegese um die in der Operngeschichte seit jeher diskutierte Frage des Vorrangs von Wort oder Musik in der Oper dreht.
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Dem Regisseur Christoph Loy und seinem Team zusammen mit einem fein abgestimmten musikalischen Konzept des Dirigenten Michael Boder gelingt in Hamburg eine bezwingende Umsetzung.
Loy fokussiert seine Darstellung ganz auf die Titelfigur, zeichnet eine Frau nach, deren in der Herkunft unbestimmte Verletztheit und Traumata sie jede Begegnung mit der Männerwelt bis zur Selbstaufgabe oder Verwandlung scheuen lässt. Um sie herum ziehen die Männer ihre Bahn im Bann des Gegensatzes von apollinischem und dionysischem Prinzip. Loy versteht es, die Reinheit und keusche Bestimmung Daphnes bis zur Verwandlung in stupender, ruhiger Einfachheit und Klarheit zu zeichnen. Die wie in der bayerischen Heimat des Komponisten angesiedelten Biergartenszenen der die Titelfigur umgebenden Männerwelt werden in szenisch einfacher, auch musikalisch zurückhaltender Gestaltung vollzogen.
Die Betroffenheit Daphnes nach dem wie von ihr selbst ausgeführten Todesstoß in der Auseinandersetzung zwischen Apollo und Leukippos spiegelt die von ihr subjektiv empfundene Schuldverstrickung ihrer Handlungen, ihres Zögerns oder Nichthandelns. Die Einfachheit und Gradlinigkeit des Bühnenbildes von Annette Kurz, der Kostüme von Ursula Renzenbrink, der Choreographie von Thomas Wilhelm tragen zu dem kongenialen Eindruck der gesamten Produktion in gelungener Form bei. Beeindruckend ist die kunstvolle Gestaltung der Lichtregie von Roland Edrich, die die Räume trotz der äußerlich sehr bodenständigen und realen Bilder immer wieder in halbwirkliches Ambiente wandelt, um Verwirrung, Traumatisierung, Schuldempfinden und zunehmende Entrücktheit der Titelfigur nachgerade physisch empfindbar zu machen.
Agneta Eichenholz ist noch vor der ersten gesungenen Note in der tiefen Ruhe ihrer Erscheinung, danach in der klaren Stimmführung, den zarten Lyrismen und den differenzierten Abstufungen ihres Spiels eine ideale Daphne. Dabei überzeugt Eichenholz immer wieder durch klassische Einfachheit und Klarheit der Gestaltung, die nicht die artistische Form feinsinnigster Gesangskunststücke in den Vordergrund stellt, sondern ihre souverän und ruhig geführte Stimme wirken lässt. Zusammen mit einer ebenso darstellerisch-gestalterischen Souveränität versetzt sie das Publikum von der ersten Note an in einen bei ihr schon lange zuvor begonnenen Verwandlungsprozess. Die realen Handlungselemente der Szene erscheinen konsequenterweise in weiten Teilen unwirklich und entrückt, kommen ihr nicht mehr nahe. Loy und Eichenholz haben in anderen Produktionen bereits erfolgreich zusammengearbeitet, hier gelingt ihnen beiden eine außerordentliche Umsetzung des Konzeptes.
Der amerikanische Tenor Eric Cutler gibt einen in seiner stimmlich makellosen Klarheit und mit scheinbar grenzenlosen Reserven auch darstellerisch überzeugenden Apollo. Das Elternpaar wird von Hanna Schwarz als Gaea und Wilhelm Schwinghammer als Peneios überzeugend vertreten. Schwarz vermag noch immer, basierend auf ihrer langjährigen Bühnenerfahrung, ihre Stimmreserven klug und maßvoll einzusetzen. Der Leukippos ist mit Peter Lodahl stimmtypisch richtig besetzt, verfügt gleichwohl nicht über das Format des apollinischen Götterdarstellers.
Die vier Schäfer sind mit Roger Smeets, Sergiu Saplacan, Simon Schnorr und Bruno Vargas sehr angemessen besetzt. Die beiden Mägde mit Raffaela Linti und Dorottya Láng runden das vorzügliche Ensemble bestens ab.
Der Herrenchor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Eberhard Friedrich gibt gesanglich und darstellerisch eine überzeugende Leistung.
Michael Boder führt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg sensibel und feinsinnig durch die Partitur. In engster Übereinstimmung mit dem Regiekonzept steht von Anfang die Entrückung der Titelfigur im Mittelpunkt der klanglichen Darstellung. Die vielen Pianopassagen werden bei äußerster Durchhörbarkeit und feinster Abstufung der vielfältigen, komplexen Stimmführungen dargeboten. Es entsteht ein oft irisierender Klangteppich, der den aufmerksamen Zuhörer gleichsam in Daphnes Reich entrückt.
Die magische und suggestive Wirkung von Daphnes Verwandlungsprozess über die gesamte Handlung, die zarte Einheit darstellerischer und gesanglicher Elemente zusammen mit dem souverän geführten und feinsinnig-brillant aufspielenden Orchester lassen die Aufführung damit zum Erlebnis werden.
Die Wirkung lässt vielleicht auch die Entrücktheit des Komponisten in schwierigen politischen Zeiten nachvollziehen – „Klassizität als Selbstschutz“ nennt es Ulrich Schreiber. Ob es wohl bei Capriccio dann noch immer ohne politische Wertung gelänge angesichts eines seinerzeit mittlerweile grauenhaften politischen Umfelds, wäre bei anderer Gelegenheit zu erforschen.
Viel Applaus und Bravos für Eichenholz, aber auch Cutler und Schwarz. Langer, wohl verdienter Beifall für das gesamte Ensemble und Michael Boder zusammen mit dem Orchester.
Man sollte sich diese Aufführung nicht entgehen lassen. Es empfiehlt sich außerdem, bald eine Vorstellung der ersten Staffel zu sehen, da die Perfektion vieler fein aufeinander abgestimmten Elemente in der Regel nicht immer im Repertoirebetrieb erhalten bleibt.
Achim Dombrowski