Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LULU
(Jochen Ulrich)
Besuch am
30. Dezember 2015
(Premiere am 4. Dezember 2015)
Frank Wedekind schuf in seiner Doppeltragödie Der Erdgeist und Die Büchse der Pandora mit Lulu eine faszinierende Frauengestalt. In Theaterskandalen und Prozessen ging es immer wieder um diese Frau und die Dichtungen von Frank Wedekind.
Das Schicksal dieser femme fatale beflügelte aber auch viele Künstler. Alban Berg schuf eine Oper, und Wedekind selbst stellte sich sein Geschöpf Lulu im Zentrum eines Tanzstückes vor, denn er selbst hatte diese Figur als Tänzerin, die unter anderem in einem Zirkus auftritt, konzipiert.
Jochen Ulrich hat unter Verwendung wesentlicher Teile der Doppeltragödie von Frank Wedekind mit seinem unverwechselbaren ausdrucksstarken Tanzstil die Geschichte der Lulu als eine selbstbewusste, mit ihrer erotischen Ausstrahlung und Anziehungskraft spielenden Frau auf der Grundlage eines Librettos von Dietlind Rank choreografiert und vor 25 Jahren inszeniert.
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Es ist der unaufhaltsame Abstieg einer Frau, die mit ihren Verführungskünsten die Männer reihenweise um den Verstand bringt und in den Tod treibt. Das Sensationelle der damaligen Aufführung war der expressionistische Tanzstil, den Ulrich vor allem im tänzerischen Kampf zwischen Lulu und den verschiedensten Männern kreierte. Und es war die Musik, von der sich der Choreograf inspirieren ließ. Hillary Griffiths hatte Filmmelodien von Nino Rota arrangiert und lieferte mit den Ausschnitten aus Der Leopard, 81/2, Der weiße Scheich, Rocco und seine Brüder sowie La Strada die musikalische Vorlage für die Choreografie. Die Musik mit ihren immer wiederkehrenden Tangomelodien unterstreicht einzigartig das Filmische und Zirzensische der Zurschaustellung von Lulu in ihren Begegnungen mit den Männern.
Die Gleichzeitigkeit von Liebe und Tod, die Bedeutung von Tanz, dem sich Lulu immer wieder leidenschaftlich hingibt und die Melodramatik des Aufstiegs und des Falls von Lulu werden durch die Musik, vor allem durch den Tango und die Choreografie in ihrer kongenialen Synthese von großer Suggestivkraft deutlich.
Für die Neueinstudierung der Choreografie konnte das Ballett Rossa Künstler gewinnen, die bereits aktiv bei der Uraufführung in Köln dabei waren. Ein Glücksfall. Darie Cardyn tanzte 1990 selbst die Lulu in der Uraufführung. Sie realisiert nun in Halle mit Ziga Jereb die choreografische Einstudierung. Mit Griffiths steht neben Robbert van Steijn ein Kenner des Stückes am Pult der Staatskapelle Halle. Und mit Kathrin Kegler und Marie-Therese Kramer sind für die Hallenser Neuinszenierung ebenfalls Bühnen- und Kostümbildner der Uraufführung dabei. Das sichert ein Höchstmaß an künstlerischer Authentizität, der sich das gesamte Ensemble des Ballett Rossa tänzerisch verpflichtet fühlt und die Aufführung zu einem einzigartigen künstlerischen Erlebnis werden lässt.
Es ist ein faszinierendes Beispiel für die Synthese von modernem Ausdruckstanz und Elementen von Akrobatik und Pantomime bis hin zu Chansons und dem von Frank Schilcher mit Bravour zu Beginn vorgestellten Prolog des Tierbändigers mit der Vorstellung des Bestiariums.
Tänzerisch herausragend sind Dalier Burchanow als teuflischer Schigolch, Michal Sedlacèk als elegant-gefährlicher Dr. Schön und Martin Zanotti als dessen Sohn Alwa, Johann Plaitano als Maler Schwarz, der Lulu verfallen ist und Davide de Biasi als Dr. Goll. Eine eindrucksvolle Charakterstudie liefert Denise Dumröse als Grafin Geschwitz, die Lulu vollends als weiblichen Macho erlebt. Sensationell in immer neuen Verwandlungen durch blitzschnellen Kostümwechsel zeigt Paloma Figueroa als Lulu in einem furiosen Kaleidoskop von Solo-Bewegungen und erotischem Paartanz die geschundene Seele der Lulu, die durch ihren fortwährenden Missbrauch den Abstieg von der Geliebten und Ehefrau bis zur Prostituierten erlebt und grausam in London endet.
Das Ballettensemble zeigt insbesondere in den revuehaften Zirkus-Szenen gemeinsam mit der Statisterie der Oper Halle großen Einsatz. Und hoch über der Szene platziert, spielt die Staatskapelle Halle mit hörbarem Enthusiasmus Rotas Filmmusiken.
Viel Beifall und Anerkennung für die Leistungen des Ballett Rossa, das nach Anna Karenina von Jochen Ulrich im vergangenen Jahr wiederum ein Stück deutscher Tanzgeschichte belebt.
Herbert Henning