Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Mammutaufgabe, mit eigenen Kräften gestemmt

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)

Besuch am
4. Juni 2016
(Premiere)

 

 

Theater Hagen

Muss eigentlich jedes Opernhaus einen aufwändigen und kräftezehrenden Koloss wie Richard Strauss‘ feinsinnige Hofmannsthal-Komödie Der Rosenkavalier auf die Bühne bringen? Antwort: Unbedingt, wenn es dazu in der Lage ist. Und das hängt nicht davon ab, ob man es sich leisten kann, die silberne Rose in einem goldbeschlagenen Luxus-Salon überreichen zu können oder in einer bescheideneren Kulisse. Es hängt auch nicht davon ab, ob man über genügend Mittel verfügt, um teure Gäste einzukaufen.

Ausgerechnet das Theater Hagen, das seit Jahren einem besonders heftigen lokal- und finanzpolitischem, in letzter Zeit auch medialem Gegenwind ausgesetzt ist, zeigt mit seiner Neuinszenierung, worauf es ankommt: Auf ein gepflegtes und gut geführtes Ensemble. Von zwei Tänzern abgesehen, stemmt Hagen die personalintensive und anspruchsvolle Herausforderung, die der Rosenkavalier für jedes noch so große Haus bedeutet, ausschließlich mit eigenen Kräften. Und das auf einem Niveau, mit dem sich Hagen vor keinem Haus in der theaterreichen Umgebung verstecken muss.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Eine Leistung, die Anerkennung verdient, auch wenn die szenische Realisierung gegenüber der musikalischen Gesamtleistung abfällt. Aber auch das ist nicht auf die sparsame Ausstattung zurückzuführen, sondern auf fragwürdige konzeptionelle Entscheidungen des Regisseurs Gregor Horres.

Foto © Klaus Lefebvre

Horres bemüht sich, die pikante Liebesaffäre mit lockerer Hand zu inszenieren, die resignierende Haltung der entsagenden Marschallin differenziert zu deuten und gleichzeitig dem Liebeswerben des Ochs mit aufgesetzten Knalleffekten zu zusätzlicher Bühnenwirksamkeit zu verhelfen. Dass ein Cupido mit Pfeil und Bogen durch die Aufführung schwirrt, dass Octavian als geflügelter Engel wie ein außerirdischer Liebesbote die silberne Rose überreicht, gehört zu den harmlos netten Einfällen. Die Tanzeinlagen Cupidos mit einem Double der Sophie sind überflüssig, aber auch nicht schädlich.

Die stärksten Akzente setzt Horres mit der Darstellung der Marschallin, die zwar unser Mitleid verdient, aber nicht uneingeschränkt. Noch während des Vorspiels nehmen die Marschallin und ihr Gatte, den es ja auch noch gibt, auf getrennten Betten Platz. Endstation einer ausgebrannten Ehe, die zwei Verlierer, nicht nur eine Verliererin, hinterlässt. Daran erinnert Horres auch im Schlussbild, wenn wir auf die enttäuschte Marschallin blicken und ihr betrogener Mann erneut das leere Ehebett aufsucht. Hier relativiert sich zu Recht das Mitgefühl mit der scheinbar großmütigen Fürstin.  

Schade, dass Horres mit der Figur des Ochs' weit weniger sensibel umgeht. Von der feinen Ironie Hofmannsthals, mit der er den Standesdünkel und die rustikale Herkunft des Junkers aufs Korn nimmt, ist in Hagen nichts zu sehen. Ochs poltert als derber Rüpel über die Bühne, verzerrt zu einer grobschlächtigen Karikatur, mit der Octavian auch noch albernen Schabernack treibt. Hier überschreitet die Regie die Grenzen zur Klamotte.

Mit Dekorationen geht Bühnenbildner Jan Bammes sehr sparsam um. Oft reichen ihm ein Tisch und ein oder zwei – getrennte – Betten. Dass immer wieder schwarze oder rot angeleuchtete, bühnenhohe Wände eingeschoben werden und die Figuren voneinander trennen, wirkt sich, je nach Geschmack, als gewöhnungsbedürftig oder störend aus, auf keinen Fall jedoch als erhellend.

Dass das Herz von Generalmusikdirektor Florian Ludwig für Richard Strauss besonders warm schlägt, hört man auch seinem Rosenkavalier in jedem Takt an. Das Philharmonische Orchester Hagen motiviert er zu einer erfreulich präzisen und leuchtkräftigen Wiedergabe der schwierigen Partitur. Allerdings kann auch er die begrenzten akustischen Bedingungen des Hagener Theaters nicht außer Kraft setzen. Mitunter schwappen die orchestralen Wogen recht brutal über die Singstimmen hinweg.

Das vokale Niveau der Neuinszenierung ist hoch, teilweise geradezu frappierend hoch: Veronika Haller scheint mit der Marschallin die Rolle ihres Lebens gefunden zu haben. Die lyrische, abgeklärte Tonsprache der Rolle kommt ihrer Stimme denkbar gut entgegen. Ihre Darstellung zeigt eine noch junge, gleichwohl vom Leben gezeichnete und gereifte Frau mit gesanglich wunderschönen Momenten. Maria Klier als Sophie: Ein erst von Vorfreude auf den Bräutigam wirbelnder, später vor Zorn bebender Backfisch aus vermeintlich vornehmem Haus, der die vokalen Höhenflüge mühelos stemmt und gesanglich wie darstellerisch den Kern der Rolle nahezu ideal trifft. Mit leichten Abstrichen gilt das auch für den eher schüchtern auftretenden Octavian von Kristine Larissa Funkhauser, deren Stimme in den für einen Mezzo gefährlich hoch angesetzten Passagen zur Härte neigt, die das – stimmliche – Damen-Trio insgesamt aber hochwertig ergänzt.

Rainer Zaun als Ochs ist der Leidtragende der szenischen Entgleisungen. Er bleibt zwar der Partie stimmlich nichts schuldig, scheint sich aber in der Rolle eines depperten Landeis, das Horres darin sieht, verständlicherweise nicht wohlzufühlen. Da haben es seine Kollegen und vor allem Kolleginnen besser.

Selbst die kleineren Partien sind rundum vorzüglich besetzt. Stellvertretend sei Sophia Leimbach genannt, die als Jungfer Marianne nicht unangenehm keift, sondern die an sich undankbare Rolle auch im dichtesten orchestralen Getümmel noch sauber aussingt.

Ein Rosenkavalier mit viel Licht und einigen Schatten. Begeisterter Beifall des Premierenpublikums für eine Ensembleleistung, die den Namen verdient und die Bedeutung des geografisch am Rande des kulturell aktiven Ruhrgebiets liegenden Theaters vollauf bestätigt.

Pedro Obiera