Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Ich bereue nichts

PIAF
(Pam Gems)

Besuch am
1. April 2016
(Premiere am 13. Februar 2016)

 

 

Theater Hagen

Eigentlich bietet das Leben der Chansonsängerin Edith Piaf alle Zutaten, die man für ein herzzerreißend-berührendes Bühnenstück braucht: Das Großwerden in ärmlichen Verhältnissen, das Aufwachsen quasi auf der Straße, die Stärke, sich in den Milieus von Pariser Clubs, Kasernen und Hinterhöfen durchzusetzen, der frühe Wechsel in die neue, fremde Welt der Pariser Künstler, die Auftritte in Konzertsälen, Theatern und Plattenstudios bei guten Freunden und finsteren Geschäftsleuten – bis hin zur „La móme Piaf“ am Montmartre.

Von diesen dramatischen Ereignissen eines bewegenden, erschreckenden und wilden Künstlerlebens einer empfindsamen Frau kommt leider wenig auf die Bühne.  Der Eindruck der ersten Hälfte dieses ursprünglich von Pam Gems als Musical geschriebenen Schauspiels bleibt blass, nach der Pause gerät die zweite Hälfte zu einem tristen Abgesang einer vormals berühmten, glühenden Künstlerin hin zu einer von Alkohol und Drogen geschüttelten, alten Frau.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Mit einer starken Bühnenpräsenz, ihrem intensiven Spiel und einer röhrigen Stimme trägt Judith Guntermann den entscheidenden Teil dieses „Schauspiels mit Musik“, bei dem eigentlich Piafs Chansons – titelgerecht – im Vordergrund stehen. Guntermann versucht nicht, die Piaf stimmlich und darstellerisch zu imitieren. Sie verfügt über eine Stimme, mit der sie nach Charakter und Stimmlage den Chansons ihre eigene Interpretation geben kann, was ihr bestens gelingt. Warum Guntermann in der zweiten Hälfte des Abends, die von ihrem Abstieg erzählt, von den Originalsongs abgesehen fast nur noch in schrillem Diskant spricht, bleibt das Geheimnis der Inszenierung. Die Intention der Autorin, die Piaf als freie Künstlerin zu zeigen, „die sich nicht einengen“ lässt, geht dabei verloren. Die weiteren Rollen sind mit authentisch spielenden Schauspielern gut besetzt, die von Jacoub Eisa gespielte Cowboyeinlage, stimmlich bestens präsentiert, gerät darstellerisch-szenisch eher zu einem peinlichen slapstick.

Foto © Klaus Lefebvre

Mit einer geschickten, nachtfarbenen Lichtprojektion schafft Peer Palmowksi ein Bühnenbild, in das sich verschiedene Spielorte und -ereignisse mühelos einfügen lassen. Mit seiner vor der Bühne in Sichtweite des Publikums platzierten vierköpfigen Band präsentiert Pianist Andreas Reukauf die Musik der Pariser 1930-er Jahre mit Charleston, Foxtrott und Musette-Walzer und gibt den Chansons den authentisch-französischen Klang. Die Bühnenumsetzung der 1978 von Pam Gems verfassten Biografie der Èdith Giovanna Gassion aka Edith Piaf durch Thomas Weber-Schallauer wirkt trotz einer in der Hauptrolle überzeugenden Judith Guntermann eher wie eine beliebige Aneinanderreihung scheinbar zufälliger Episoden aus dem Leben der Piaf. Mit Stichworten wie Männergeschichten, verpatzten Auftritten, Drogen-, Alkoholsucht und Verfall ist der wenig beeindruckende Inhalt hinreichend beschrieben, ein roter Faden ist nicht zu erkennen. Text und Dramaturgie dieser Inszenierung reichen nicht aus, ein knapp dreistündiges Programm zu tragen. Hierzu werden die stofflich vorhandenen Probleme dramaturgisch zu wenig genutzt.

Mit dem bekannten Chanson Padam, padam und den Liedern La vie en rose und Milord zeigt Guntermann, wo ihre und des Stückes Stärken liegen: in den gefühlvoll und leidenschaftlich vorgetragenen Chansons. Ergreifend präsentiert sie Non, je ne regrette rien, ein Chanson, das Piaf selbst als ihr Testament gesungen hat. Nach zwei Zugaben bedankt sich ein begeistertes Publikum für einen musikalisch gelungenen Chanson-Abend.

Horst Dichanz