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Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Klaus Lefebvre

Aktuelle Aufführungen

Einstiges Erfolgsstück mit viel Patina

JONNY SPIELT AUF
(Ernst Krenek)

Besuch am
16. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Theater Hagen

Dass Ernst Kreneks 1927 in Leipzig uraufgeführte Oper Jonny spielt auf mit 421 Aufführungen allein im Premierenjahr noch den Erfolg der ein Jahr später aus der Taufe gehobenen Dreigroschenoper überflügelt hat, davon ist heute nicht mehr viel zu spüren. Auf den Spielplänen ist das skurrile Werk kaum noch anzutreffen. In Nordrhein-Westfalen haben es zuletzt die Wuppertaler Bühnen 2002 gezeigt. Dass sich Krenek selbst von dem Werk distanzierte und den Erfolg eher skeptisch betrachtete, zeugt von der Aufrichtigkeit des 1991 verstorbenen Komponisten. Denn die Botschaft wie auch das Libretto und nicht zuletzt die Musik weisen Schwächen und eine Menge Patina auf. Wenn der aktuelle Wiederbelebungsversuch durch das Theater Hagen dennoch Sinn macht, dann durch die Bestätigung dieser Mängel, aber auch als weiterer Beweis für die Leistungsfähigkeit des tüchtigen Ensembles.

An den grandiosen Erfolg von Samuel Barbers Vanessa im letzten Jahr kann diese Produktion nicht nahtlos anknüpfen. Einzuordnen ist es in die verdienstvollen Bemühungen der Hagener Bühnen um das amerikanische Musiktheater. Jonny spielt auf ist zwar in Deutschland entstanden und spielt im europäischen Milieu zwischen Paris und den Alpen, doch thematisiert wird die Sehnsucht der 1920-er Jahre nach neuen Zeiten, die sich viele Zeitgenossen von der amerikanischen Kultur erhofften. Dass Krenek diesen Traum kritisch beäugte, zeigt sich an der Titelfigur Jonny, einem amerikanischen Jazzband-Geiger, der in Europa Karriere machen möchte, jedoch zunächst die kostbare Geige des berühmten Virtuosen Daniello stiehlt und sich am Ende aus dem Staub macht. Dass Krenek dessen Abgang auf den ersten Blick triumphal zelebriert, indem er ihn auf einer Weltkugel mit Jazzklängen die „Neue Zeit“ einläuten lässt, relativiert der Komponist durch die Kürze der Szene und die eher dünnen Jazz-Einwürfe. Große Hoffnung setzt er in Typen wie Jonny nicht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Stärker verbunden fühlt er sich der interessantesten Figur des Stücks, dem Komponisten Max, quasi seinem Alter Ego, der in der Einsamkeit der Alpen den Traditionen der europäischen Kultur nachhängt und aus Liebe zur Sängerin Anita am Ende den Weg nach Amerika antritt. Mit ungewissem Ausgang. Bezüge zum Freischütz und zu Kreneks Biografie sind kein Zufall. Die Getriebenheit in unwirtlicher seelischer und realer Landschaft verbindet die Max-Figuren beider Stücke. Anita arbeitet sich an Max‘ instabiler psychischer Konstellation wie Agathe ab und sieht sich feindlichen Wesen wie dem Star-Geiger Daniello und dem amerikanischen Jazz-Geiger ausgesetzt. Das putzige Stubenmädchen Yvonne assistiert Anita so naiv und selbstlos wie Ännchen ihrer Agathe.

Foto © Klaus Lefebvre

Krenek bedient sich einer für ihn eher untypisch konservativen Tonsprache mit spätromantischer Grundsubstanz, durchsetzt mit expressionistischen Tupfern und einigen Revue- und Jazzanklängen, wobei die in Hagen nur zahm aus dem Off angedeuteten Jazz-Töne kaum auffallen. Eine bewusste Reaktion auf die fälschliche Titulierung des Stücks als „Jazzoper“, gegen die sich schon Krenek, der gebürtige Wiener und spätere Wahl-Amerikaner, vehement aussprach. Eine Klangkulisse, die sich streckenweise recht zäh dahinzieht. Da klingt vieles nach Korngold und Pfitzner aus zweiter, aber nur wenig aus Kreneks erster Hand. Diesen Eindruck können auch Generalmusikdirektor Florian Ludwig mit seinem gewohnt vorbildlichen Einsatz und Regisseur Roman Hovenbitzer mit seiner wiederum dezenten und detailgenau ausgearbeiteten Inszenierung nicht wegzaubern. Das Stück hat Patina angesetzt.

Hovenbitzer sieht das Werk, durchaus im Sinne Kreneks, als Künstlerdrama, jedoch als Drama des Komponisten Max, während Jonny eine eher dekorative Rolle einnimmt. Dass sich Krenek Jonny als Minstrel vorgestellt hat, also als schwarz geschminkten Weißen und bewusst mit „Neger“-Klischees gespielt hat, wurde dem Komponisten als „rassistisch“ und von den Nazis als „freche jüdisch-negerische Versudelung“ vorgeworfen. Dieses Problem interessiert Hovenbitzer nicht, indem er Jonny als weißen Showman darstellen lässt, eher in der Tradition Frank Sinatras als der Louis Armstrongs.

Hovenbitzers Personenführung besticht durch ihre Sorgfalt. Auch in den Show-Szenen vernachlässigt er nicht die kritische Distanz Kreneks zur trügerischen Euphorie im Angesicht des „American Dreams“. Dabei geht er freilich so „seriös“ vor, dass die durchaus vorhandenen frechen Pointen und die ironische Zuspitzung des Schlusses vernachlässigt werden. Damit entzieht er dem Stück den letzten Rest an Originalität. Da haben Susanne Boetius und Jürgen Tamchina in Wuppertal mehr gewagt.

Auch Jan Bammes Bühnenbilder glänzen durch Zurückhaltung. Max stapft durch eine aus Büchern und Partituren zusammengeschaufelte Gebirgslandschaft, der Glamour der Show-Welt schrumpft auf eine mager dekorierte Hotelpassage zusammen und die Weltkugel, die Jonny am Ende als Künstler der Zukunft zu erobern glaubt, entpuppt sich als goldene Disco-Kugel, die wie eine Abrissbirne über die euphorisierte Gesellschaft schwingt. Viel Geflimmer, aber ebenso hohl wie die Miss-Liberty-Kronen aus dem Souvenir-Shop, mit denen sich der Chor am Ende schmückt.

Gesanglich zahlt sich die vorbildliche Ensemblepflege des Hagener Theaters auch diesmal aus. Immerhin stellt das Werk Anforderungen auf dem Level großer spätromantischer Opern, denen die teilweise sehr jungen Sänger durchweg gerecht werden, auch wenn sie es nicht leicht haben, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Da mag Florian Ludwig noch so sehr den Klang drosseln. Sängerfreundlich zeigt sich Kreneks Orchestrierung nicht.

Hans-Georg Priese bewältigt mit seinem recht konditionsstarken und dennoch kultivierten Tenor die kräftezehrende Partie des Max auf hohem Niveau. Kenneth Mattice bleibt als Jonny etwas blass, was freilich weniger an dem jungen Bariton liegt, sondern an der von Krenek ziemlich oberflächlich angelegten Partie. Anita, die Sängerin, die sich für ein Leben mit Max entscheidet, findet in Edith Haller eine prominente Sopranistin mit dramatischen Qualitäten, wenn auch die teilweise extremen Höhen sehr scharf klingen. Maria Klier präsentiert sich mit entwaffnender Koketterie und stimmlicher Geschmeidigkeit als anmutiges Stubenmädchen Yvonne. Andrew Finden in der undankbaren Rolle des Virtuosen Daniello sowie der Rest des Ensembles einschließlich dreier showlike agierender Tänzerinnen sowie der sicher agierende Chor runden das erfreuliche Ergebnis ab.

Das Publikum reagiert mit freundlichem, wenn auch nicht überschwänglichem Beifall. Insgesamt keine so sensationelle Produktion wie die der Vanessa im letzten Jahr, aber ein weiterer Beleg für die ambitionierte und hochwertige Arbeit des Theaters Hagen, die es freilich leicht haben wird, sich die Herzen eines größeren Publikums zu erobern.

Pedro Obiera