Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Werner Kmetitsch

Aktuelle Aufführungen

Ein Leidensweg voll brennender Aktualität

DIE GRIECHISCHE PASSION
(Bohuslav Martinů)

Besuch am
5. März 2016
(Premiere)

 

 

Opernhaus Graz

Das hätte sich Intendantin Nora Schmid wohl nicht träumen lassen, dass bei ihrer seinerzeitigen Werkauswahl für das Grazer Opernhaus Die Griechische Passion solch eine Aktualität bekommen würde wie jetzt. Denn die letzte Oper von Bohuslav Martinů handelt von Flüchtlingen, von griechischen allerdings, die von Türken zur Osterzeit aus ihrem Dorf vertrieben werden und jetzt Zuflucht im Nachbardorf suchen. Hier erleben sie großes Misstrauen und später offene Feindseligkeit, die vor allem von einem Popen geschürt werden. Nur die Einwohner, die gerade ein Passionsspiel vorbereiten und immer mehr in ihre Rollen hineinwachsen, zeigen Solidarität mit ihnen. Doch die immer stärker werdende Konfrontation steuert auf eine Katastrophe zu.

Lorenzo Fioroni unterliegt nicht der Versuchung, das Werk, das auf dem Roman Der wieder gekreuzigte Christus von Nikos Kazantzakis basiert und dessen heute sehr bigott klingendes Libretto vom Komponisten selbst stammt, als heutige, aktuelle Flüchtlingskrise zu zeigen. Er zeigt es vielmehr als Drama zwischen Besitzhabenden und Besitzlosen. Den Gläubigen, die nach Nächstenliebe streben, stehen die Selbstsüchtigen gegenüber, die den Menschen die Hilfe verweigern. Die Geschichte selbst lässt er wohl im Heute auf einem Parkplatz mit Laternen vor einem imposanten, dunkelgrauen Monolith, einer Art Golgatha-Stätte, wo auch später die Kreuze angebracht sein werden, spielen. Die Flüchtlinge selbst wirken jedoch archaisch, gewandet wie aus einem alten Bibelfilm, die Kostüme hat Annette Braun erdacht, deren führender Priester mit seinem langen, wallenden Bart an Moses erinnert. Ein Kontrast, der gemeinsam mit der Kulisse, dem Rauch und den suggestiven Lichtstimmungen bildmächtige Bilder, die Bühnenbilder hat Paul Zoller kreiert, erzeugt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Regisseur Fioroni hat ungemein detailliert und ideenreich inszeniert und führt die Personen wie auch den viel beschäftigten und begeisternd singenden Chor des Hauses, dessen inbrünstige Gesänge sich bewusst an die griechische-orthodoxe Liturgie anlehnen und den Bernhard Schneider einstudiert hat, virtuos. Aber Fioroni verzettelt sich immer wieder in allzu großem Aktionismus und bedient sich allzu plakativer Einfälle und Klischees, wenn etwa die etablierte Gesellschaft zum Finale Schweinsköpfe trägt oder der Priester nach dem Tod des Manolios mit den anderen Machthabern des Dorfes in einer Loge mit Sekt anstößt, nachdem man gemeinsam Judas verschwinden ließ. Zudem lässt er die Bühne unnötigerweise mit Unmengen von Stühlen, Müll und so weiter ankramen.

Foto © Werner Kmetitsch

Gezeigt wird in Graz die für die Bregenzer Festspiele 1999 rekonstruierte, so genannte Londoner Urfassung in englischer Originalsprache. Gesungen wird ganz außergewöhnlich von Sängern, die bis auf einen Gast alle 21 aus dem Ensemble stammen: Der eine ist Rolf Romei, der jenen sensiblen Hirten Manolios auch darstellerisch eindringlich bis zur Selbstverleugnung verkörpert. Er soll im vorgesehenen Passionsspiel Christus spielen, wächst dabei über sich hinaus, wird zum vermeintlich gefährlichen Revoluzzer für die Machthaber und muss deshalb beseitigt werden. Er singt die Figur mit sanftem, feinem Tenor. Dshamilja Kaiser ist die Witwe und Prostituierte Katerina, die Maria Magdalena spielen soll. Sie singt sie mit kraftvollen und expressiven Tönen.  Markus Butter singt den Priester Fotis, den Anführer der Flüchtlinge, mit kräftigem Bariton. Sein ebenfalls sehr autoritärer Gegenspieler ist der immer verlässliche und stimmgewaltige Wilfried Zelinka als unerbittlicher Priester Grigoris und Anstifter zum Mord. Manuel von Senden ist ein wunderbar höhensicherer und stimmkräftiger Yannakos. Von den vielen, kleineren Partien sei noch Taylan Reinhard als Panait erwähnt, der Judas spielt und letztlich als Werkzeug Manolios erschlägt.

Wie schon in der Oper Juliette ist die Hauptcharakteristik von Martinůs Vertonung der Traum und die Utopie. In schillernder Tonfarbenpracht schildert er am Beginn des dritten Aktes einen Traum des Manolios. Die bäuerliche Atmosphäre wird durch griechische Folklore präsentiert, in die sich fallweise tschechische Weisen mischen. Momente der klaren Tonalität wechseln mit echtem, aber auch hohlem Pathos. All das weiß Dirk Kaftan am Pult der Grazer Philharmoniker mit stets animierender Energie präzise und klangprächtig umzusetzen.

Großer, anhaltender Jubel herrscht im Publikum, das offensichtlich dankbar ist, diese Rarität erlebt zu haben.

Helmut Christian Mayer