Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TOSCA
(Giacomo Puccini)
Besuch am
4. Mai 2016
(Premiere am 20. Dezember 2014)
Übermächtig dominiert eine drehbare, zentrale Bühnenkonstruktion das Geschehen. In blendendem Weiß gestaltet Davide Livermore, verantwortlich für die Regie, Bühnen- und Lichtgestaltung des Abends, eine marmorierte Plattform mit Treppen, anspruchsvoller Schräge und Balustraden, die die verschiedenen Handlungsorte der Oper im barocken Rom in einem symbolisiert. Da gestalten Tosca und Mario Cavaradossi in der Kirche Sant‘Andrea in kühner Akrobatik ihr Liebesduett, oder Scarpia und seine Schächer treiben ihr Unwesen. Immer wieder dreht sich das Bühnenbild und unterstreicht so die einzelnen Szenen in ihrer Folge.
Livermore macht es den Sängern nicht leicht, sich auf Gesang und Darstellung zu konzentrieren, sondern sie müssen immer wieder ihre Orientierung und die Ausrichtung zum Publikum suchen sowie ihre Standfestigkeit demonstrieren. Mit der Textgenauigkeit ist es dann auch nicht immer so ernst genommen. So fehlen die Madonna und die Kapelle als Versteck von Angelotti oder der Sprung von der Engelsburg. Andererseits gelingt eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Folterung oder des Gefängnisses auf der Engelsburg im Untergeschoss der Plattform. Befremdlich wirkt Scarpias Arbeitsraum im zweiten Akt. Wie ein exotisches Designerstück wirkt sein Schreibtisch mit einem übergroßen Sessel auf einem mächtigen Podest auf der barocken Plattform. Keine Wände bieten Intimität, um die Dramatik dieser Szene zu unterstreichen.
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Mit viel Geschick hingegen muss sich Amarilli Nizza als Tosca artistisch auf der steilen Bühne auf und ab bewegen und dabei ihre inneren Konflikte zum Ausdruck bringen. Ein leichtes Tremolo überlagert ihre Stimme in ihrer Arie Vissi d'arte, die nur schwer an Form und Leben gewinnt. Ihr Sopran dringt trocken und glanzlos in die Höhe und füllt sich wenig in der Mittellage. Darstellerisch wirkt ihre Tosca hölzern und wenig begehrlich, was aber auch der Bühnengestaltung zugeschrieben werden kann.
Angelo Veccia ist als der erbarmungslose, machthungrige Scarpia auch nicht wirklich dämonisch in seinem eleganten, roten Hausrock aus edlem Stoff. Von der Regie benachteiligt, muss er meist aus dem hinteren Bühnenteil sein grausames Spiel ausführen und präsentiert so seinen vollen und kräftigen Bariton unter Wert. Sein despotisches Begehren drückt sich in nur wenig Körperkontakt mit Tosca aus. Dafür darf diese umso inbrünstiger ihre Rache mit dem Mord auskosten. Unaufhörlich sticht sie auf den bereits leblosen Körper ein, so dass die Szene einen tragikomischen Effekt erreicht. Aus dem Publikum feuern die kühne Täterin erheiterte „Mori“-Rufe an. Die findet anschließend nur schwer einen Fluchtweg vom Tatort, und so endet der Akt holprig mit der Mörderin am höchsten Punkt der Bühnenkonstruktion wie eine klassische Gallionsfigur am Schiff. Francesco Meli gelingt im letzten Akt eine einfühlsame und ergreifende Abschiedsarie. Sein weicher Tenor mit italienischem Schmelz setzt immer sauber in der Höhe an, umschließt im Crescendo samten den Ton. Startet er melancholisch im Klang, dringt er in eine kämpferische Dramatik und Sehnsucht ein, die er überzeugend artikuliert. Er lässt die Sterne aufgehen und leuchten. Nach einem Begeisterungssturm im Publikum wiederholt er zufrieden die Arie und stellt sich mutig dem Erschießungskommando. Noch einmal flieht Tosca, als ihre Tat aufgedeckt wird, aber die Bühnengestaltung lässt auch hier keinen Fluchtweg offen. In der letzten Bühneneinstellung kauert sie an der Balustrade im Hintergrund, währenddessen ein Double bereits im Vordergrund in einer Blutlache liegt und ihren Selbstmord symbolisiert. Hier hat man schon raffiniertere Lösungen gesehen.
Im Orchestergraben versucht Dmitri Jurowski, mit seiner Interpretation Spannung und Dramatik zu erzeugen. Er ist für seine kraftvollen Interpretationen russischer Opern bekannt. Mit der groß angelegten, feingliedrigen Harmonik und Melodramatik Puccinis kommt er an diesem Abend nur bruchstückhaft zurecht. Mit kraftvollen Forti und einem treibenden Tempo zu Beginn fordert er die Sänger heraus und trägt sie nur vereinzelt mit einem satten weichen Orchesterklang. Spannungsreiche Pausen und differenzierter Wechsel in der Lautstärke verlieren sich, aber im Spiel steuert das gut vorbereitete Orchester des Teatro Carlo Felice heimatlich-italienische Farbe bei.
Das elegante Publikum dieses ersten Abends der Wiederaufnahme, Premiere war 2014, spendet heftigen, kurzen Beifall und überschüttet den aus Genua stammenden Francesco Meli mit herzlichen Ovationen. So gewinnt der Abend am Ende viel an Italianità und Gefühl.
Helmut Pitsch