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Ob man der jungen armenischen Sopranistin Hrachuhi Bassénz einen Dienst damit erweist, sie für ihr Rollen-Debüt auf dem Plakat in der unverkennbaren Pose der Callas abzulichten, darüber lässt sich streiten. Ihre Darstellung der Norma ist glücklicherweise von einer Callas-Kopie weit entfernt, so wie die Gelsenkirchener Produktion insgesamt ungewohnte, teilweise gewöhnungsbedürftige Lichter auf das dramaturgisch nicht unproblematische und eminent schwer zu besetzende Werk wirft. Dass die Produktion in vielen, wenn auch nicht in allen Punkten überzeugen kann, das allein verdient bereits Respekt.
Erstmals in Deutschland ist damit die von Maurizio Biondi und Riccardo Minasi eingerichtete kritische Neuausgabe des Belcanto-Hits zu sehen, die auf später revidierte Details der Urfassung zurückgreift. Dass einige Teile um ein paar Takte oder Strophen erweitert werden, dürfte nur dem Bellini-Kenner auffallen. Gravierender ist schon die Besetzung der Adalgisa mit einem Sopran. Doch davon später mehr.
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Neben den immensen stimmlichen Anforderungen an die Protagonisten ist die Fantasie des szenischen Teams gefragt. Auch die Neuausgabe ändert nichts daran, dass die Norma nicht zum Musikdrama taugt, sondern ein Tummelfeld für gesanglichen Balsam mit psychologischer Innenspannung bleibt, eine vokale Wellness-Oase mit einer nach innen gerichteten Handlung. Selbst den Rachefeldzug Normas gegen die Römer komponiert Bellini als selbstzerstörerische Seelenstudie der Priesterin. Die Gefahr statuarischer Starre kann auch die hochbegabte, in Gelsenkirchen unter anderem mit Peter Grimes und Rusalka erfolgreich hervorgetretene Regisseurin Elisabeth Stöppler nicht ganz bannen. Gleichwohl gelingt es ihr, die emotionalen Verflechtungen zwischen den Figuren intensiv und detailgenau auszuarbeiten, ohne in aufgesetzten Aktionismus zu verfallen.
Von der Geschichte um die gallische Druiden-Priesterin Norma, die sich in den leichtlebigen römischen Todfeind Pollione verliebt, dessen Untreue rächen will und sich am Ende selbst opfert, lässt sich die Regisseurin nicht zu unangemessenen Aktualisierungen verleiten. Mit Ausnahme einiger langatmig deklamierter Gedichte Pier Paolo Pasolinis, die an fünf Stellen die ohnehin aktionsarme Handlung unnötig unterbrechen. Umso rührender arbeitet die Regisseurin die Zerrissenheit der Titelheldin aus: als einen Menschen, der seine religiöse Mission ernstnimmt und vom gallischen Volk geradezu messianisch verehrt wird, der gleichzeitig seiner Rolle als Mutter zweier Kinder aus der illegalen Liaison mit dem römischen Todfeind Pollione gerecht werden will. Ein unmenschlicher Drahtseilakt, der Norma zermalmt. Dass der von Bellini heroisch drapierte Abgang der verzweifelten Frau dazu nicht passen will, das hat Stöppler gespürt. Sie lässt Norma am Ende in gekreuzigter Pose gen Himmel aufsteigen. Eine Lösung, die den gordischen Knoten allerdings auch nicht durchschlagen kann.
Umso liebevoller widmet sich die Regisseurin den Kindern der Druidin, die stets präsent sind und schon im Vorspiel versuchen, ihre auf einer Empore dem menschlichen Zugriff entzogene Mutter zu erreichen, indem sie vergeblich eine glatte Steinwand zu erklimmen versuchen. Es liegt sicher nicht an den spielfreudigen Kindern Lili und Mona Lenz, dass gerade dieser Einfall, im Gegensatz zu vielen geglückten Auftritten der Kleinen, ein wenig verkrampft wirkt.
Auf äußeren Pomp, auf historisierende oder aktualisierte Accessoires verzichtet man in Gelsenkirchen. Schlichte, bisweilen triste Kostüme von Nicole Pleuler müssen genügen, um die Gallier von den Römern zu unterscheiden, und Bühnenbildner Hermann Feuchter begnügt sich mit einer neutralen Mauerlandschaft, die sich mit dem Verfall der religiösen Werte nach und nach in eine Trümmerwüste verwandelt. Szenisch insgesamt eine vor allem in der einfühlsamen Personenführung sehenswerte Produktion, die freilich auch brutale Seiten der von Normas Landsleuten vergötterten Priesterin freilegt. So, wenn die angedeuteten Rituale zeigen, dass Menschenopfer unter ihrer Sichel an der Tagesordnung waren.
Die auffälligste Neuerung durch die Verwendung der Biondi-Ausgabe besteht in der Besetzung der gallischen Novizin und Nebenbuhlerin Adalgisa mit einem Sopran und nicht mit dem gewohnten Mezzo. Dadurch klingt der helle, jugendliche Sopran der Estnierin Alfia Kamalova höher als der warme, dunkler gefärbte Sopran von Hrachuhi Bassénz in der Titelrolle. Die beiden großen Duette der Damen verlieren dadurch an gewohnt samtenem Schmelz, gewinnen aber an dramatischer Substanz.
Dass die Gelsenkirchener Oper den gesanglichen Anforderungen im Wesentlichen gerecht wird, ist vor allem den beiden Damen zu verdanken. Bassénz hört man bei ihrem Debüt der Titelpartie noch den großen Respekt vor der einstigen Paraderolle der Callas an. Gleichwohl verströmt sie mit ihrer warmen Stimme eine Menge an vokalem Glanz, koloratursicherer Gewandtheit und erfreulicher Legato-Kultur, wobei sich die emotionale Intensität mit wachsender Erfahrung mit der Partie noch steigern lassen dürfte. Die mittlerweile in Nürnberg engagierte Sängerin kehrt damit zur Freude des Publikums nach zehnjähriger Abwesenheit ans Musiktheater im Revier zurück.
Alfia Kamalova als Adalgisa versprüht mit ihrem jugendlichen, beweglichen und leuchtenden Sopran umso mehr Temperament und stellt damit liebgewonnene Rollenprofile auf den Kopf. Der römische Schürzenjäger Pollione bringt den jungen Tenor Hongjae Lim allerdings rasch an hörbare Grenzen. Seine an sich schöne Stimme kann sich konditionell nur bedingt in Szene setzen. Oroveso, Normas Vater, gestaltet der Bassist Dong-Won Seo stimmlich recht rau. Und Lars-Oliver Rühl als Römer Flavio darf die Handlung als Pasolini-Rezitator mehrmals unterbrechen. Die schlichten Chorpassagen werden gediegen ausgeführt.
Dass der „Urtext“-Herausgeber Biondi in seinen eigenen Aufführungen auf historisches Instrumentarium mit einem entsprechend entfetteten Orchesterklang Wert legt, spielt in Gelsenkirchen keine Rolle. Valtteri Rauhalammi entfaltet mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen gewohnt symphonisch weichen Klang, lässt es leider an rhythmischer Pointierung fehlen, so dass etliche Szenen schön, aber spannungsarm versickern.
Gleichwohl: Insgesamt ein schöner Erfolg für das Musiktheater am Revier, den das Publikum ohne einen einzigen Missklang goutiert.
Pedro Obiera