Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss Sohn)
Besuch am
10. Juni 2016
(Premiere)
Dass ausgerechnet das Luxusross der Wiener Operette, Johann Strauss‘ Opus summum Die Fledermaus, zum Abschluss der Saison wegen dringender Sanierungsarbeiten vom Stammhaus ins Kleine Haus ausgelagert werden muss, klingt wie eine mittlere Katastrophe. Dass das nicht sein muss, demonstriert derzeit das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, das aus der Not eine Tugend macht. Man greife nur auf eine Salonfassung des Stücks von Franz Wittenbrink aus dem Jahre 1992 zurück, der es, außer dem opulenten, nicht unbedingt authentischen philharmonischen Orchesterklang, an nichts fehlt. Kein Ton der Partitur wird unter den Teppich gekehrt und Wittenbrink empfiehlt sich als ein so geschickter und sensibler Arrangeur, dass man nichts vermisst. Im Gegenteil: Die Qualität der Musik wird transparent wie auf dem Silbertablett serviert und das Publikum sitzt der Bühne so nah wie nur selten.
Die Handlung der Ohrwurm-Parade ist weithin bekannt. Dennoch gehen viele Regisseure mit dem Kern des Stücks eher harmlos und beiläufig um. Dass sich hinter allem Walzer-Glanz nichts anderes als ein bitterböser Racheakt verbirgt. Und das zeigt Regisseur Carsten Kirchmeier in greller Deutlichkeit. Das Publikum wird Zeuge, wie der Ball des Grafen Orlovsky von Dr. Falke detailliert und mit gemeiner Schadenfreude inszeniert wird. Im dritten Akt spinnt Kirchmeier die Intrige weiter, indem er die Konsequenzen der Betrügereien, Seitensprünge und Lügengespinste, die die feine Fassade der Eisensteins und ihrer Genossen ins Wanken bringen, ins Absurde führt. In slapstickhafter Motorik schießt und erschießt sich die Gesellschaft gegenseitig oder von eigener Hand. „Tot denn, alles tot“. Eine Variante wie ein Alptraum, aus dem die „Opfer“ zum Glück erwachen, um doch noch den befreienden Schlussgesang anstimmen zu können. Ein schaler Beigeschmack hält sich jedoch hartnäckig, nicht unähnlich den gebrochenen „Happy Ends“ in den Opern Mozarts.
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Die geringe Distanz des Publikums zur Bühne ermöglicht einen besonders scharfen Blick auf die Figuren. Und die führt Kirchmeier mit handwerklicher Präzision. Im ersten Akt hält er sich zurück und betont den Konversations-Charakter dieses Teils, im zweiten Akt bricht eine skurrile, aus Dominas, Transvestiten, androgynen Zwischenwesen und unterwürfigen Sklaven zusammengesetzte Gesellschaft in die ebenso brave wie verlogene Welt ein. Ein scharfer Striptease zur beliebten Polka-Einlage Unter Donner und Blitz wirkt in diesem Umfeld alles andere als deplatziert.
Ein Problem bleibt der musikalisch und dramaturgisch schwache dritte Akt. Die Leerstellen versucht Kirchmeier unter anderem durch den ultimativen Kollektiv-Mord zu übertünchen. Die Mängel kann er dadurch nicht ausräumen. Allenfalls zögert er damit das dringend erwartete Finale hinaus. Und die klassische Einlage mit Kerkermeister Frosch führt in der Regel nicht zu mehr als leidlich witzigen, oft auch abgestandenen Kalauer-Tiraden. Dem möchte Kirchmeier entgehen, indem er der resoluten Putzfrau „Frl. Forsch“ Wort und Tat überlässt. Die nutzt die Gelegenheit, um sich zur Herrin über das Gefängnis zu erheben und den schwer angeschlagenen Gefängnisdirektor vorzuführen. Ute Wieckhorst tut ihr Bestes, ohne freilich den Akt so richtig in Schwung bringen zu können. Zu retten ist der Final-Akt ohnehin nicht durch Zutaten, sondern durch eine radikale Straffung auf das Wesentliche. Mehr gibt hier auch die Musik nicht her.
Viel Liebe zum Detail und zur Abwechslung hat Jürgen Kirner in die Kostüme investiert. Und mit seinem schlichten, aber raffiniert arrangierten und wandlungsfähigen Bühnenbild schafft er Atmosphäre, ohne von den Personen abzulenken. Während das rechte Drittel der Bühne von den Musikern besetzt wird, wird das linke Drittel von einem halbrunden Vorhang verdeckt, der im zweiten Akt den Blick auf eine mehrstufige Treppe für die sündige Party-Gesellschaft freigibt. Zwei riesige Stehlampen entblättern sich bei dieser Gelegenheit und entpuppen sich als überdimensionale Sektgläser wie aus einschlägigen Revue-Filmen. Natürlich darf sich darin auch die Striptease-Queen, Eden Berlin, vergnügen.
Thomas Rimes führt am Klavier das Nonett der Neuen Philharmonie Westfalen an, das die Musik mit einem feinen Hauch gemütlicher Salon-Kultur überzieht, der mitunter einen reizvollen Kontrast zur bösen Handlung schafft. Rimes bringt auch improvisationshafte Elemente mit Zitaten aus Filmen und Schlagern ein. Insgesamt könnte die eine oder andere Nummer noch eine Prise Schwung vertragen, wobei es auch szenisch bisweilen – noch – etwas schwerfällig zugeht. Ein Lob verdient auf jeden Fall Wittenbrinks Arrangement für Flöte, Klarinette, vier Streicher, Klavier, Harmonium und Schlagzeug.
Nicht ganz überzeugen kann das vokale Niveau der Produktion. Die beste Leistung gelingt Marie Heeschen als blutjunge Adele mit entsprechend jugendlicher Stimme und mühelosen Höhen. Damit tut sich Alfia Kamalova als Rosalinde etwas schwer, auch wenn ihre Leistung zu den besseren des Abends zählt. Michael Dahmens Stimme ist zurzeit krankheitsbedingt außer Gefecht gesetzt, so dass Jan F. Eggers aus Osnabrück die Partie des Eisenstein aus dem Orchester heraus singt. Das gelingt ihm angesichts der kurzfristigen Rettungsaktion vorzüglich, auch wenn die Spielfreude Dahmens ein wenig gehemmt wirkt. Anke Sieloff singt den Prinzen Orlovsky gediegen, während Peter Rembold als Dr. Falke, Hongjae Lim als Alfred, Joachim Gabriel Maaß als Gefängnisdirektor Frank, Florian Neubauer als Advokat Blind und Sion Choi als Ida kaum überzeugen können.
Gute Chorleistungen und ein paar pfiffige Tanzeinlagen runden die insgesamt hochinteressante Fledermaus-Produktion ab. Das Premieren-Publikum reagiert mit entsprechend langanhaltender Begeisterung.
Pedro Obiera