Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
HEISSMANN UND RASSAU –
EIN KÄFIG VOLLER NARREN
(Jerry Hermann)
Besuch am
27. November 2015
(Premiere am 17. März 2015)
Mit Trotz in den Augen blickt Volker Heißmann als Alwin ins Publikum. Gleich sein erstes „Ich bin, was ich bin“ berührt in seiner Verletztheit. Dann kehrt Alwins Stolz zurück. Hey Welt, ich bin, was ich bin schmettert er mit ausgebreiteten Armen dem Publikum entgegen. Zugegeben, man hat den Statement-Song schon gesanglich perfektionierter erlebt. Aber bei der Wiederaufnahme von Ein Käfig voller Narren in der Comödie Fürth geht er trotzdem herrlich ans Herz. Zum einen, weil Regisseur Thomas Enzinger dem Publikum eine sehr liebenswerte, respektvolle Version des schrägen Musicals mit Lokalkolorit, Humor und dem Charme der 1940-er und 50-er Jahre präsentiert. Zum anderen, weil es Comedian Volker Heißmann als Alwin und Musicalsänger Alexander di Capri als seinem Partner Schorsch gelingt, ein ganz charmantes, alterndes, homosexuelles Ehepaar zu geben.
Tatsächlich ist die Gefahr groß, wenn es um Travestie und schillernde Paradiesvögel geht, ins zu Überdrehte abzudriften. Doch genau das passiert in der Comödie Fürth nicht. Natürlich tummeln sich im Travestieschuppen „La Cage aux Folles“ schräge, verrückte Gestalten, das darf und muss so sein. Doch trotz aller Gags, Glitzereffekte und Glamourmoment geht es eben eigentlich um die Geschichte von Flori, der sich verloben will, um Alwin als alternde Diva und liebevolle Ersatz-Mama, um ein homosexuelles Paar, das zu seiner Liebe steht, sowie um die Frage, was genau Normalität eigentlich ist. Mit Federfächern, Steppeinlagen, Paartanzszenen und Revuecharakter lässt Regisseur Enzinger die Musicalwelt der 40-er und 50-er Jahre wiederaufleben – allerdings mit erfrischendem Augenzwinkern. Warum also nicht, mitten in den Gesang hinein, murmeln lassen: „Du musst tanzen, das ist Musical!“
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Einen ganz entscheidenden Beitrag zum Musicalerfolg – die 20 Vorstellungen seit März dieses Jahres waren so gut wie ausverkauft, deshalb die Entscheidung zur Wiederaufnahme – dürfte Kostüm- und Bühnenbildner Toto geleistet haben. Ob mit Corsage oder im Cancan-Kleid: Es darf den Abend über funkeln, was das Zeug hält. Volker Heißmanns Outfits reichen vom Queenkostüm übers bodenlange Kleid mit Omasofa-Muster bis hin zum edlen Pelz inklusive pinkfarbener, fingerfreier Handschuhe. Die exzentrische Wohnung von Alwin und Schorsch ist ein Barbie-Traum in rosafarbenem Glitzer mit schrägen Details wie einem Sessel mit Regenbogenplüschbezug, einer Dekohasen-Familie in Pink und einem Bauernschrank mit zwei erotischen Jünglingen. Umso schöner dann die überzogene Verwandlung in eine Vorzeigewohnung für Spießer, ehe Floris Schwiegervater in Spe mit Gattin eintrifft – ein Politiker, der es sich zum Ziel gesetzt hat, alle Travestieclubs schließen zu lassen. Jetzt zieren die Wände plötzlich übergroße Sakralgemälde mit Mariendarstellung, dem gekreuzigten Jesus oder Paradiesszenerie. Dass in Kostümen und Bühne nicht nur viele Ideen stecken, sondern auch Geld, ist nicht zu übersehen. Eine halbe Million Euro hat sich das Comödienteam die gesamte Produktion kosten lassen, damit ist es die teuerste bis dato in der Geschichte der Fürther Bühne.
Und trotzdem lebt die Produktion vor allem vom Bühnenteam. Ja, Volker Heißmann ist zunächst einmal Comedian und nicht Sänger. In den tieferen Lagen bewegt er sich sicher, in den Höhen sitzt nicht jeder Ton. Ein ausgebildeter Musicaldarsteller könnte musikalisch bessere Leistungen abliefern. Doch macht ihn das in der Rolle des Alwin fast noch sympathischer. Der Fürther zeigt, dass er ein begnadeter Komiker ist, überzeugt mit Charme. „Verwende niemals das Wort Sprache in Zusammenhang mit Franken“, sagt er – und lässt selbst beim Singen den fränkischen Dialekt durchblitzen. Zweimal schließt sich der Vorhang, um Heißmann die Plattform für Stand-Up-Comedy mit lokalen Seitenhieben zu bieten. Das Publikum johlt. Als Schorsch steht Heißmann Musicalstar Alexander di Capri zur Seite, singt gleichermaßen mit Gefühl, mit Charisma, mit Kraft. Nicht umsonst übernimmt er seit etlichen Jahren Hauptrollen in großen Musical-Produktionen vom Tanz der Vampire bis Evita. Und noch ein dritter soll keinesfalls unerwähnt bleiben: Comedian Martin Rassau als Butler Jacob, der sich allerdings selbst lieber als Zofe Ingrid sähe und stolz als „größte Tunte aller Tunten“ bezeichnet. Er verkörpert Travestie par excellence, stöckelt in Highheels, gestikuliert dramatisch, bricht in hysterisches Kichern aus und lässt das Publikum Tränen lachen. Und das Ensemble steppt, tanzt, singt, glitzert dazu und sorgt für schillernden Revuecharakter.
Kleiner Wermutstropfen der Musicalproduktion: Die Musik kommt vom Band – schlichtweg, weil im Theater selbst kein Platz wäre für ein Orchester. Eingespielt ist sie allerdings ganz hervorragend: Leicht und locker, nie aufdringlich, ein beschwingter Gute-Laune-Macher. Verantwortlich zeichnen für die Einspielung die Nürnberger Symphoniker und die Thilo Wolf Big Band unter der musikalischen Leitung von Thilo Wolf.
Das Publikum applaudiert am Ende der Wiederaufnahme-Premiere begeistert, wird mit einem Zusatzsong belohnt. Dann entlässt das Ensemble die Zuschauer aus einer bunten, liebenswerten Glamourwelt mit guter Laune und dem schönen Gefühl, dass bürgerliche Normalität eben doch nicht die Norm aller Dinge ist.
Michaela Schneider