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Leoš Janáček ging auf die 70 zu, als er seine Oper Das Schlaue Füchslein als ein heiter-melancholisches Tiermärchen komponierte. Damit stellte er der „Trauer seiner späten Jahre“ ein starkes Stück voller Poesie und Komik entgegen, das den Tod nicht ausgrenzt, aber die Gewissheit nährt, dass die Natur aus dem Vergehen immer wieder neues Leben gebiert. Das Libretto verfasste er selbst. Er griff dabei auf einen Fortsetzungsroman von Rudolf Tesnohlídek zurück, der ab 1920 in der Brünner Tageszeitung Lidové noviny erschien und schuf aus dem Stoff kurze Szenen, verbunden mit insgesamt neun orchestralen Vorspielen und Verwandlungen, die der Oper musikalisch und dramaturgisch Struktur verleihen.
In blitzlichtartigen Episoden erzählt Janáček aus dem Leben der jungen Füchsin Schlaukopf. Ein Förster, getrieben von der Sehnsucht nach Freiheit und Liebe, fängt sie ein, nimmt sie zu sich nach Hause und will sie zähmen. Doch es gelingt ihr zu entkommen. Wieder im Wald zurück findet sie ihre große Liebe, heiratet und bekommt zahlreiche Kinder. Als der Wilderer Harasta sie erschießt, endet ihr persönliches Glück. Doch spätestens, wenn der Jäger in der Schlussszene in seinen Traum versinkt und ein junges Füchslein erblickt, das der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ist, scheint die Vergänglichkeit aufgehoben und der Jäger getröstet.
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Regisseurin Ute M. Engelhardt verwandelt das schlaue Füchslein in einen kecken Teenager, der sich Hals über Kopf in den Jäger verliebt und am Ende vom Wilderer erstochen wird, weil das Füchslein es nicht lassen kann, den Menschen zu reizen. Das Nebeneinander von Tier- und Menschenwelt, das Engelhardt als Besonderheit in dieser Oper beschreibt, hebt sie auf, drängt die Tiere in allzu menschliches Denken und Tun, oder platziert sie in comicartige Welten à la Walt Disney, beispielsweise in der Hühnerszene, die, von Kostümbildnerin Katharina Tasch effektvoll schrill bunt ausgestattet, Wirkung zeigt, bis das Füchslein den Hahn erschlägt. Nach dieser Tat ist das Füchslein erwachsen, sucht das Weite. Eine rote Spur in ihrer Unterhose soll dieses Entwicklungsstadium vielleicht unterstreichen. Doch die Kinder ab gerade neun Jahren, die sich überraschend zahlreich im Premierenpublikum einfinden, erkennen das nicht und interpretieren nicht, sondern lassen sich von dem einfangen, was folgt. Wieder verliebt sich das Füchslein, doch jetzt in einen Fuchs. Janáček sah dafür eine Hosenrolle vor, was Kinder auch in Frankfurt verstehen, da Jenny Carlstedt als Fuchs überzeugend burschikos daher radelt und mit männlichem Habitus die Füchsin begehrt. Carlstedt agiert darstellerisch und stimmlich so überzeugend, dass man ihre differenzierte Gestaltung der Partie als Selbstverständnis wahrnimmt. Der dritte Akt gehört zunächst der bunten Kinderschar. Die vielen Füchslein gehen dem Wilderer nicht in die Falle, nur die Füchsin. Rotzfrech, wie Engelhardt sie zeichnen möchte, riskiert sie ihr Leben und verrottet unter Müllsäcken begraben und vom Förster unbemerkt. Seine anfängliche Midlifecrisis hat ihn mittlerweile in den Wahnsinn getrieben. Er hüpft durch den Regen, plantscht in der Pfütze und versinkt neben dem Urenkel-Frosch in heile Kinderträume.
Mit weiteren Regieeinfällen sorgt Engelhardt durchaus für Komik, beispielsweise mit aufgeblasenen Bikinischönheiten, die wie Phantasiegespenster den Pfarrer bedrängen, deren Bedeutung sich aber Kindern selbst Dank der eindeutigen Geste der Füchsin nicht erschließt. Einen Blick in das Innenleben der Protagonisten will die Regie damit verdeutlichen, erklärt Dramaturgin Mareike Wink und lässt die Schwierigkeiten erahnen, die entstehen, wenn man mit naturalistischen Bildern, wie es Stephanie Rausch in ihrem Bühnenbild aus Plattenbau-Kiosk-Wohnhaus mit Biergartenbestuhlung suggeriert, und teilweise surreal wirkender Fabelmärchenästhetik den sozialen Antagonismus zwischen Mensch und Tier dahingegen auflöst, indem man belegt, dass das Tier der bessere Mensch sei.
Für die Musik lässt Engelhardt viel Raum. Damit wird die Oper vom Orchestergraben aus zu einem Hörabenteuer. Die Musik ist prägnant und geistreich, witzig und voller Esprit, markant im Augenblick und vielfarbig im Detail.
Johannes Debus gestaltet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die Partitur genial transparent. Dadurch wird auch hörbar, wie sich die Musiker in der Ouvertüre erst allmählich zusammenfinden, um im Folgenden dauerhaft rhythmisch, dynamisch und in der Melodiegestaltung minutiös ausmusiziert die Feinheiten von Janáčeks Werk bis in kleinste Details hörbar werden zu lassen.
Musikalisch überzeugen die Darsteller, soweit es das Orchester zulässt. Vor allem die Solo-Kinderdarsteller dringen kaum über das Orchester hinaus, aber auch mancher erwachsene Sänger, wenn er sich zu weit im hinteren Bühnenraum bewegen soll. Die in jedem Moment textverständliche Louise Alder gestaltet die Rolle der Füchsin Schlaukopf mit jugendlichem Temperament und stimmlicher Strahlkraft. Simon Neal lässt stimmgewaltig und eindringlich jeden glauben, dass hier ein tief frustrierter Ehemann und Förster nur in einer vom Wahnsinn bestimmten naiven Phantasiewelt sein Menschsein vergessen kann.
Der Schlussapplaus ist überraschend stimmig, wohl auch, da mancher Premierenbesucher in der Pause das Opernhaus bereits verließ. Frankfurt setzt mit dieser Inszenierung den Reigen um Aufführungen der Opern von Janáček fort. In diesem Kontext betrachtet, ist es gelungen, neuerlich die Auseinandersetzung mit Komponist, Werk und möglichen Interpretationen anzustoßen. Ein Erfolg.
Christiane Franke