Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Barbara Aumüller

Aktuelle Aufführungen

Auf der Flucht zum Glauben

MESSIAH
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
27. März 2016
(Premiere)

 

 

Oper Frankfurt

Eine traumatisierte Zufalls-Gesellschaft sucht Schutz in einer Ruine. Welche Katastrophe sie in diese Situation getrieben hat, bleibt offen. Entscheidend ist die Hoffnungslosigkeit, die jeder durch sein individuelles Schicksal geprägt mit sich schleppt. Diese Düsternis durchdringen prophetische Worte und prallen ab. Erst mit der Geburt eines Kindes und schließlich mit der Zuversicht eines Knaben, der sich aus den Trümmern erhebt und unschuldig rein intoniert, dass der Erlöser lebt, gelingt der Seelenfang. Wo einst der Glaube zum Krieg führte, führt jetzt der Krieg zum Glauben. Wie eine Herde willenloser Schafe folgt die Fluchtgemeinschaft ihrem Messias in die Dunkelheit, getragen von der Hoffnung nach Auferstehung und Erlösung.

Diesen Eindruck vermittelt David Freeman am Ostersonntag an der Oper Frankfurt mit seiner 2012 für das Königliche Theater Kopenhagen konzipierten Inszenierung von Georg Friedrich Händels Messiah. Das Geschehen könnte sich überall ereignen. Louie Whitemore kleidet die Protagonisten europäisch-multikulturell. Das passt auch im Jetzt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Inhaltlich geht es um die Geschichte Jesu‘ von der Geburt bis zur Himmelfahrt. Händels Librettist Charles Jennens wählte prophetische Texte aus dem Alten Testament und einige Bibelstellen aus dem Neuen Testament, die, scheinbar zusammenhanglos ausgewählt, keine Handlung ergeben. Dafür bieten sie viel Raum für Empfindung und Reflexion, aber auch Irritation und Entwicklung.

Foto © Barbara Aumüller

Darauf setzt Freemann. Die Darsteller entwickeln ihre Rolle weiter. Ein spannender Anspruch. Zu welchem Ergebnis das führt, könnte man nur feststellen, wenn man alle folgenden acht Vorstellungen sähe. Zur Premiere gelingt ein erster Eindruck. Jeder der 42 Darsteller auf der Bühne verkörpert sein persönliches Drama. Das schafft Authentizität und Glaubwürdigkeit und reißt den Zuschauer mitten in das Geschehen. Einzelne aus dieser Gemeinschaft übernehmen kurzzeitig eine Rolle, werden zum Propheten, verkörpern Maria und Josef, Judas und Jesus. Die Gemeinschaft der Individuen verschmilzt zum Volk, das von der Geburt des Kindes verzückt zur keifenden Masse mutiert, um mit bedingungsloser Gewaltbereitschaft Jesus hinzurichten. Das überzeugt, verstört. Bedauerlicherweise untergräbt Freeman mit einer Flut aus banalen, effektvollen und schockierenden Videoeinspielungen von Shuang Zou und Marco Devetak auf der Ruinen-Rückwand die Wirkung des Augenblicks.

Doch die Sänger sind stärker und lenken den Blick immer wieder zurück in das Zentrum der Ereignisse. Das liegt auch daran, dass Markus Poschner unmissverständlich durchhören lässt, dass Händel mehr mit der italienischen Gesangskultur zu tun hat als mit der Oratorien-Klangkultur eines Johann Sebastian Bach. Martin Mitterrutzner gestaltet seine Tenorpartie erfrischend dramatisch, ohne an Schlankheit einzubüßen. Vuyani Mlinde begeistert mit seinem in der Tiefe wie Höhe gleichermaßen herrlich voluminösem Bass. Demgegenüber zart und schlank gefällt die Sopranistin Elisabeth Reiter neben der auf intensive Klangfärbung Expressivität bedachten Altistin Katharina Magiera und Sopranistin Juanita Lascarro. Gero Bollmann schafft in seinem effektvoll inszenierten Auftritt mit seinem hellen Knabensopran Gänsehaut.

Größtes Lob gilt dem Chor und seinem Leiter Tilman Michael. Diese Partien auswendig zu singen, ist an sich eine großartige Leistung. Darauf bleiben die Sängerinnen und Sänger nicht reduziert. Geradezu genial gelingt ihnen ein Ausdruck, der dominiert ist von einer selten erlebten Spannung, Beweglichkeit und Intensität. Der entscheidende Antrieb dazu fließt aus dem Orchestergraben. Mit einem kleinen wie feinen Ensemble formt Poschner einen transparenten, den Melodienfluss nie durchbrechenden, in sich vielgestaltig dramatischen Gesamtklang ohne Scheu vor dem Effekt.

So lässt sich das Publikum in der auf Eindreiviertelstunden gekürzten Messiah-Fassung begeistern.

Christiane Franke