Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

© Barbara Aumüller

Aktuelle Aufführungen

Befreiung durch das Volk

IWAN SUSSANIN
(Michail Iwanowitsch Glinka)

Besuch am
30. Oktober 2015
(Premiere am 25. Oktober 2015)

 

 

Oper Frankfurt

Ein Bauer rettet um 1613 das zaristische Russland vor der feindlichen Übernahme durch die Polen. Der adelige Dekabrist Kondrati Rylejew hält diese Szene um 1815 im epischen Lied Iwan Sussanin fest. 1825 wird er auf Befehl des Zaren hingerichtet. 1834 greift Glinka dieses Lied auf. Er entwirft eine Skizze mit dramaturgischen Handlungsfolgen und betitelt sie mit Iwan Sussanin. Vaterländische heroisch-tragische Oper in fünf Akten und Teilen. Seine ursprüngliche Idee, nach Rylejews Lied ein szenisches Oratorium zu schreiben, verwirft er, ohne sich wirklich davon zu lösen.

Das zeigt die Frankfurter Erstaufführung in der Bearbeitung von Chefdramaturg Norbert Abels und Regisseur Harry Kupfer. Glinka schuf ein opern-oratorisches Werk. Knapp eine Stunde Musik haben Abels und Kupfer für die Frankfurter Inszenierung gestrichen, vornehmlich Chorszenen, um den Blick auf den Kern zu konzentrieren.

Es herrscht Krieg. Russland wird bedroht. In der Ursprungsfassung sind es die Polen, die Russland erobern wollen. In der entscheidenden Phase führt der Bauer Sussanin die feindlichen Truppen in die Irre. Als der Feind diese List aufdeckt, erschlägt er Sussanin. Doch seine Botschaft ist angekommen. Nicht die Herrschenden befreien das Land, sondern der kleine Mann befreit es. Im Sinne seines humanistischen Verständnisses fühlt er sich für das große Land verantwortlich. Auf dem roten Platz jubelt das Volk. Unüberhörbar mischen sich in die Klänge Trauer und Leid. Die Hoffnung auf Frieden bleibt Utopie.

Kupfer wählt tableauartige Szenen, um nebeneinander gereiht zu erzählen, was sich in der Szene Sussanins im Walde konzentriert zeigt. Der erfüllte Traum seiner Tochter Antonida von Glück und Hochzeit mit dem Landwehrmann Sobinin und die Entwicklung seines Ziehsohnes Wanja vom Kind zum nach Taten drängenden Mann. Das sind durchweg Eindrücke, die in der Zukunft liegen und im Wahn geboren werden aus einem Gemisch aus Urangst und Entschlossenheit in eisiger Nacht. Glinka baute um diese zuerst komponierte Szene alle weiteren Teile seiner Oper.

Der Regisseur scheint diesem Weg gefolgt zu sein. Im Schwarz-weiß-grau der spärlich ausgestatteten Bühne dominiert der Eindruck von Verwüstung, Tod und Aussichtslosigkeit alle Szenerien. Der Feind outet sich als feierfreudige Eroberer-Gesellschaft, die in Überfluss und Überdruss im Kontrast zum qualvoll leidenden russischen Knechtvolk steht und dennoch untergeht. Die Kostüme von Yan Tax, hier die Festgarderobe, dort die mehrlagige Baumwollkleidung des ewig frierenden Volkes, sind aussagekräftig für diese Schwarz-weiß-Zeichnung. Dass Kupfer hier den Polen mit dem Deutschen im zweiten Weltkrieg ersetzt, ermüdet. Aktuellere Szenarien bieten sich für diese Art der Modernisierung an. Doch schon Glinka wusste um das Explosivpotenzial, das daraus erwächst, und benannte seine Oper wenige Tage vor der Uraufführung um. Unter dem Titel Ein Leben für den Zaren avancierte die Oper in kürzester Zeit zur meistgespielten Oper in Russland. 

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In Frankfurt ist man von diesem Erfolg weit entfernt. Regisseur Kupfer schiebt die Protagonisten in verkümmert stilisierter Stummfilmmanier mit überzeichneten Posen auf der Bühne hin und her. Jaochim Klein verstärkt diesen Eindruck durch spärlich differenzierte schwarz-weiß-graue Lichtdramaturgie. Die Bühne mit zerfetzten Glocken, Ruinenbauten und Heckengestrüpp suggeriert Kriegsschauplatz-Wochenschaustimmung und schafft eigentlich viel Raum für die Darstellung und Belebung des Bildes.

John Tomlinson als Iwan Sussanin mit Statisterie, Chor und Extrachor der Oper Frankfurt © Barbara Aumüller

John Tomlinson in der Titelrolle des Sussanin fehlt es jedoch an geerdeter stimmlicher Kraft und Bühnenpräsenz, um den humanitären Geist und die Entschlossenheit des weißen Alten zu verkörpern. Zeitweise brilliert Anton Rositskiy in den herrlichen Kantilenen, die er über weite Strecken ohne Orchester und vergleichbar einer Solokadenz mit heller tenoraler Siegfried-Stimme gestaltet. Thomas Faulkner, der Deutsche in der Rolle des polnischen Hauptmanns mit englischem Akzent, überrascht positiv in dieser eher undankbaren Nebenrolle. Kateryna Kasper gelingt es immerhin, der naiven Bauerstocher Antonida stimmliches Profil zu verleihen. Doch nur Katharina Magiera überzeugt. Mit sattem Altvolumen und schauspielerischem Können belegt sie, dass auch in dieser Oper differenzierte Charakterzeichnungen und Entwicklungen angelegt sind und dargestellt werden können. In der Hosenrolle des Wanja bietet sie stimmlichen Genuss und erzielt Anteilnahme am dramatischen Geschehen.

Überzeugend zeigt Sebastian Weigle am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters die musikalischen Welten auf, die Glinka hier nicht wenig kontrastreich gegenüberstellt. Typisch russische, von Volksliedzitaten und Volkstanzrhythmen durchwirkte Klangfülle neben italienischem Belcanto und Weisen, die den Zuhörer spontan in die Zeit der Wiener Klassik versetzen. Gelegentlich unüberhörbar läuft das Zusammenspiel zwischen Orchester und Chor jedoch aus dem Gleichklang. Chordirektor Tilman Michael hat sein Ensemble bestens auf den satten, dichten, russischen Volkstonklang eingestimmt. Immer wieder muss Weigle diese Sängermasse mit ihrer klanglich voluminösen Kraft bändigen, um sie synchron zum Orchesterklang zu führen, der durch Transparenz besticht, dadurch aber auch nicht Gelingendes offen darlegt.

Dem Publikum entgeht das nicht. Erst allmählich klatscht es sich warm, dankt mit frenetischem Applaus der gegenüber den Mitspielern einzig überzeugenden Katharina Magiera und überdeckt nicht die Buhrufe beim Auftritt des Generalmusikdirektors. Glinkas Oper bietet mehr, als hier gezeigt wurde.

Christiane Franke