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Eine benzingetränkte Senta hält das Feuerzeug in der Hand. Aus ihrem Blick spricht der reine Wahnsinn. Gespannt wartet der Zuschauer auf den nächsten Schritt. Das Feuerzeug klappt zu, der Vorhang fällt. Eine Erlösung wird es nicht geben, weder für den ewig verdammten Holländer, noch für Senta. Erstaunlich unspektakulär taucht er in den dunklen Bühnenhintergrund ein. Senta bleibt besessen, nicht vom Teufel, was Regisseur David Bösch in dieser real-romantischen Balladenerzählung gerne sehen würde. Seine Gedankenexperimente, Wagner habe quasi Faust und Mephisto in der Figur des Holländer vereint, bleiben glückloser Versuch, dem Titelhelden etwas Dämonisch-Geheimnisvolles zu verleihen. Der Figur der Senta Gretchens Wesenszüge des naiven, wohlanständigen, folgsamen Mädchens überzustülpen, könnte eher passen, würde man eine Vorgeschichte zum Holländer inszenieren. Doch David Bösch konfrontiert das Publikum in der Frankfurter Neuinszenierung des Holländer gleich zu Beginn mit einer in jedem Falle überspannten bis psychopathischen Senta. Das erspart ihr den eigentlichen Konflikt zwischen Traumwelt und Realität und radiert aus, was nur im Ansatz der Wagnerschen Romantik Rechnung tragen könnte.
Patrick Bannwart bietet dazu neutral-abstrakte Bühnenbilder. Meentje Nielsens Kostüme suggerieren zeitlose Gegenwart. Im dunklen Raum ziehen vom Sturm gebeutelte Matrosen an langen Tauen. Herabhängende Plastikfetzen und verstreute Bierkästen erklären die Strandung bei tobender See. Wenn sich alles beruhigt, glitzert ein Sternenhimmel, den die „Flying-Dutchman"-Motorradgang grell durchschneidet. Bedrohlich rotiert eine überdimensionale Schiffsschraube im hinteren Bühnenteil, ohne wirklich näher zu kommen. Eine Minivariante davon ziert jedes Motorrad. Von der Decke hängen Galgenstricke. Mit fahlem Gesicht und Outlawrocker-Gestik steigt die Geister-Gang von ihren blitzenden Maschinen, steckt Kreuze mit aufgespießten Braut- und Trauerschleier-Totenköpfen in die Bierkästen und signalisiert durch Selbstschussversuche synchron mit dem Holländer, dass sie nichts umbringt. Der Gipfel an Lächerlichkeit in dieser Eingangsszene ist erreicht, wenn sich alle die glühende Zigarette in der Hand ausdrücken, ohne jeglichen Schmerz zu empfinden.
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Die Figur des Holländer in dieser Inszenierung ist von stattlich-korpulenter Natur, doch wenig bedrohlich. Seine Sehnsucht nach Erlösung nimmt man ihm dennoch ab. Das liegt an der auf das Minimum reduzierten Gestik, die David Bösch den Protagonisten auferlegt, um aus sich heraus die Rolle zu gestalten. Wolfgang Koch als Holländer gelingt das nur zum Teil. Gewichtiger erscheint sein Bemühen um einen kraftvollen satten Ton, dem es in der Tiefe an dunkler Farbe und Substanz mangelt, und um eine Mühelosigkeit, die man Koch am Premierenabend nicht abnehmen möchte.
Erika Sunnegårdh als Senta hingegen verkörpert nicht, sondern durchlebt den Wahnsinn einer von einer fixen Idee gefesselten jungen Frau. Krampfhaft umklammert sie ihr rotes Fotoalbum und stolpert wie geistesabwesend in die Fabrik der Näherinnen. Das baufällige Gebäude mit den darüber quer herunterhängenden Stromleitungen könnte in Bangladesch stehen. So deutet es Bannwart an. Jede der Frauen näht an einem Teil eines Hochzeitkleides in blütenreinem Weiß und träumt ihren Traum. Senta ist weit davon entfernt. Nicht Hochzeit, sondern Erlösung des Verdammten scheint ihr einzig mögliches Lebensziel. Dem ordnet sie alles unter. Jedoch nicht Gehorsam gegenüber dem geldgierigen Vater, noch Opferbereitschaft sind ihre Motivation, sondern der Wahn einer zu ihrer Realität gewordenen fixen Idee, die sie beherrscht und paralysiert. Passend zu dieser Verkörperung gestaltet Sunnegårdh die Partie der Senta darstellerisch fesselnd sowie stimmlich mühelos und berechtigt frei von jeglichem romantischen Pathos.
Andreas Bauer singt den Daland souverän. Daniel Behle gestaltet mit schöner Stimme und Weichheit glaubhaft den wahrhaft liebenden Eric. Michael Porter begeistert mit strahlendem Tenorschmelz bei seinem Steuermannslied und erhellt mit baladeskem Heroismus die düstere Szenerie. Der Spinnerinnenchor beweist Leichtigkeit und Übermut, die Matrosenchöre Männerchorbrillanz und Abwechslung. Chorleiter Tilman Michael hat seine Sänger bestens auf diese Partien eingestimmt.
Konsequent überzeugend gelingt der Orchesterpart. Ohne Aktschlüsse und Erlösungsfinale, mit entschlackter Instrumentierung, wie es Wagner ursprünglich vorgesehen hatte, klanglich so ausgewogen, wie es der Augenblick verlangt, dicht und fesselnd spielt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Bertrand de Billy einen Holländer, der packender nicht sein könnte. Bravo!
Christiane Franke