Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FRAUENLIEBE UND -LEBEN
(Christiane Karg)
Besuch am
5. Februar 2016
(Einmalige Aufführung)
Es ist eine mutige Entscheidung. Am Karnevalsfreitag in der Essener Philharmonie mit einem Liederabend aufzutreten. Und der Mut wird nicht belohnt. Auch wenn Essen nicht zu den Hochburgen des Karnevals im Rheinland gehört – längst hat sich die Qualität, die in der Philharmonie geboten wird, auch im Rheinland herumgesprochen. Und üblicherweise reist ein gut Teil des Publikums beispielsweise aus der Nachbarstadt Düsseldorf an. Jetzt bleiben die Plätze derjenigen im Saal leer, die nach Weiberfastnacht dringender die Erholung auf dem Sofa als im Konzertsaal brauchen. Wenn es hochkommt, ist ein Drittel des Saals besetzt. Und die Besucher, die gekommen sind, werden dafür auch noch bestraft. Denn natürlich ändert sich die Akustik des Alfried-Krupp-Saals, wenn er nicht, wie üblich, nahezu vollbesetzt ist.
Um ein Alternativprogramm zu Karneval anzubieten, sind Christiane Karg und ihr Liedbegleiter Roger Vignoles angereist. Mit Liedern von Clara und Robert Schumann sowie Johannes Brahms haben sie ein Programm im Gepäck, das die Düsseldorfer eigentlich in Scharen anzöge. Stattdessen sind gerade einmal die vorderen zehn Reihen besetzt.
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Karg lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie tritt in bordeauxfarbener Abendrobe mit gerüschtem Dekolleté und hochgesteckten Haaren auf. Glitzernde Ohrringe und ein ab und zu aufblitzendes Armband vervollständigen die Uniform einer Sängerin, die einen Liederabend veranstaltet. Dabei hat Karg eigentlich mit ihrem Album Scene einen anderen, unkonventionellen Weg eingeschlagen. Bedauerlich, dass sie dem Ruhrgebiet den Fortschritt nicht zutraut und sich lieber auf die Konvention verlässt. Noch farbloser tritt Pianist Vignoles in Erscheinung, der nichts als Grau auf dem Leib trägt. Gesteigert werden kann die Tristesse nur noch durch seine Assistentin, die mit asiatischer Ausdruckslosigkeit so gar keine Freude bereitet. Wohl selten hat man eine Assistentin erlebt, die einem beim Umschlagen der Notenblatt-Seiten – das ist ihre Aufgabe – das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Auch Christiane Karg hält sich nicht mit Formalitäten wie der Begrüßung ihres Publikums oder einer Erläuterung des Programms auf. Und wer an dieser Stelle aussteigen mag, wird sich wundern: Sie ist wohl eine der letzten Sängerinnen, die sich das leisten kann. Denn wie sie die Lieder von Clara Schumann interpretiert, ist schlicht sensationell. Selbstverständlich ohne ein Notenblatt. Der Körper voller Spannung und Selbstbewusstsein. Sie braucht den weitgeöffneten Flügel nicht, um sich daran festzuklammern. Stattdessen setzt sie dem Volumen des Klavierspielers unverbrüchlich ihre Stimme entgegen.
Um es kurz und unumwunden zu sagen: Christane Karg ist eine der besten Sängerinnen der Gegenwart. Mit größter Wortverständlichkeit bewegt sie sich über alle Register, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Es gelingt ihr trotz aller unnötigen Strenge, das Publikum in eine andere Welt zu versetzen. Karneval, die Probleme, die uns mittlerweile alle bis in den Schlaf verfolgen – alles vergessen. Geradezu narkotisierend entführt sie uns in die Welt romantischer Liebe. Was immer sich zwischen Clara, Robert und Johannes abgespielt haben mag – vergessen. Es geht ausschließlich um die Liebe. Warum eine Pause? Wie betäubt laufen die Menschen umeinander, unlustig, sich diese Stimmung verderben zu lassen.
Auch in der zweiten Hälfte des Abends gelingt es der Sängerin noch einmal, diese atemberaubende Spannung aufzubauen. Geradezu erheiternd ihre Ankündigung, dass der Text zu Auf dem See im Programmheft nicht dem Gesungenen entspräche und sie versuchen wolle, ihn deshalb besonders deutlich zu singen. Was soll denn da noch deutlicher werden? Das Publikum erhebt sich, um sie nach zwei Zugaben mit großem Applaus zu würdigen. Dass das in der Publikumsbesetzung eher mager klingt, versteht sich von selbst.
Sie vermag einen Himmel zu öffnen, ohne sich zu verausgaben. Da muss es doch ein Leichtes sein, endgültig neue Wege zu gehen.
Michael S. Zerban