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Aktuelle Aufführungen

Flucht über die Mauer

b.26
(August Bournonville/Frederic Ashton/
Terence Kohler)

Besuch am
22. Januar 2016
(Uraufführung)

 

Ballett der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorf Duisburg, Duisburg

Tief ins 19. Jahrhundert taucht Ballettdirektor Martin Schläpfer mit seinem neuen Tanzprogramm der Deutschen Oper am Rhein, b.26, ein, wenn er den Abend mit einem unterhaltsamen, aber recht harmlosen Unterhaltungs-Happen von August Bournonville aus dem Jahre 1842 eröffnet. Eine sinnvolle Verbindung zur Uraufführung eines neuen, die aktuelle Flüchtlingsproblematik reflektierenden Stücks von Terence Kohler will da nicht so recht gelingen.

Fest steht: Ein so buntes Programm hat Schläpfer selten zusammengestellt. In der Mischung aus Nostalgischem aus dem 19. Jahrhundert, Elegischem aus dem Jahr 1937 und Aktuellem von heute bietet sich dem Publikum im Duisburger Theater eine denkbar skurrile Mixtur. Schläpfer bleibt diesmal als Choreograf außen vor und überlässt das Feld zwei längst verstorbenen Kollegen und einem 31-jährigen australischen Newcomer.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Besonderes Interesse verdient natürlich die Uraufführung des großen neuen Balletts von Terence Kohler zur Musik der gesamten 1. Symphonie von Johannes Brahms. Ein gewaltiges Unterfangen mit dem schlichten Titel One, das drei Sätze lang fasziniert und im mächtigen Finale irritiert. Die Stärke des jungen Australiers, des einstigen Zöglings der Karlsruher Ballett-Ikone Birgit Keil, die 44-köpfige Compagnie in Massenszenen dynamisch führen zu können, verpufft allerdings, indem er am Schluss die Tänzer über eine Leiter eine Mauer übersteigen lässt und das letzte Wort der Musik überlässt. Was wie ein Hoffnungsschimmer für die Überwindung imaginärer und realer Mauern in einem sich auflösenden und gleichzeitig abschottenden Europa gedacht sein soll, wirkt auf der Bühne eher hilflos. Schade, da Kohler vorher eine Arbeit zeigt, die die Ängste und Gefühle verfolgter Menschen in vielfältiger, zum Teil drastischer Weise zum Ausdruck bringt. Die Mauern und Betonquader, mit denen die Bühnenbildnerin Verena Hemmerlein die Spielfläche garniert, dienen als Bollwerk gegen verzweifelt anrennende Menschen, die sich in expressiver Wucht einen Weg in die Freiheit suchen. Selbst latente Vorurteile klammert Kohler nicht aus, wenn ausgerechnet der dunkelhäutige Hüne Chidozie Nzerem die zerbrechliche Marlucio do Amaral wie einen Spielball durch die Luft wirbelt. Die Nervosität und unterschwellige Aggressivität der Choreografie schlägt sich auch in der orchestral vorzüglichen Interpretation der Symphonie durch die Duisburger Symphoniker unter Leitung von Chefdirigent Axel Kober nieder.

Foto © Gert Weigelt

Der Auftakt mit Bournonville Divertissement, einer Hommage an den einstigen Prinzipal des Kopenhagener Balletts August Bournonville aus dem Jahre 1842, einstudiert von Johnny Eliassen, verbindet allerdings nicht das Geringste mit Kohlers Zeitstück. Das dänische Divertissementchen glänzt in bunten Kostümen durch filigrane, virtuose Schrittkombinationen eines von fein verästelter Fußarbeit besessenen Altmeisters. Eine Herausforderung, die vor allem die Tänzerinnen des Rheinopern-Balletts perfekt meistern.

Besser lassen sich schon Antony Tudors Dark Elegies aus dem Jahre 1937 mit dem Hauptstück des Abends in Berührung bringen. Zu den tieftraurigen Kindertotenliedern von Gustav Mahler bietet Ashtons verinnerlichtes, stilles Meisterwerk einen introvertierten Kontrapunkt zur hektischen Arbeit Kohlers. Mit sanften, zarten und weitgeschwungenen Bewegungen leistet Ashton sublime Trauerarbeit, die unter die Haut geht, unterstrichen durch die wallenden Gewänder von Thomas Ziegler und den beeindruckenden Vortrag der Gesänge durch den Bariton Dmitri Vargin.

Das Publikum reagiert insgesamt positiv, hält sich angesichts des fragwürdigen Schlusses der neuen Kreation von Terence Kohler allerdings merklich zurück. Insgesamt ein etwas uneinheitlicher Abend auf hohem choreografischem und tänzerischem Niveau mit einigen Höhepunkten und ebenso vielen Fragzeichen.

Pedro Obiera