Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
B.27
(Martin Schläpfer)
Besuch am
26. März 2016
(Premiere am 18. März 2016)
Da kommt sie endlich, die einzige Uraufführung der Saison aus der Feder von Ballettdirektor Martin Schläpfer. Der hielt sich bisher zurück und überließ mit originellen, bisweilen geradezu bizarr zusammengestellten Programmen prominenten Kollegen aus fernen und nahen Zeiten den Tanzboden der Deutschen Oper am Rhein. Auch mit seiner neuesten Kreation stellt sich Schläpfer in den Dienst zweier längst verstorbener Kultfiguren des Tanztheaters. Seine Variationen und Partiten versteht er als Brückenglied zwischen George Balanchines Duo Concertant aus dem Jahre 1972 und Kurt Jooss‘ legendärem Antikriegsstück Der grüne Tisch aus dem Jahre 1932, die das Programm b.27 bestücken. Zwei Werke, die in ihrer dialektischen Gegensätzlichkeit durch Schläpfers zweiteilig angelegte Novität verbunden werden sollen.
Man muss freilich in Kauf nehmen, dass dieses Brückenglied den größten Teil des fast dreistündigen Tanzabends einnimmt, was die Ausgewogenheit des Programms ein wenig aus dem Gleichgewicht bringt. Zu verbinden gilt es Balanchines leichtfüßigen Spitzentanz mit der expressionistisch wuchtigen Botschaft von Kurt Jooss. Entsprechend janusköpfig angelegt ist Schläpfers Arbeit, die bereits durch die Verwendung von Beethovens Variationszyklus über ein Menuett von Jakob Haibel und Bachs Clavier-Partita Nr. 6 in e-moll BWV 830 die antithetische Struktur des Balletts festlegt. Es scheint fast, als wollte sich Schläpfer überraschenderweise einem Handlungsballett nähern. Bunte Luftballons schmücken den von Thomas Ziegler gestalteten Bühnenhintergrund und Yuko Kato bereitet sich als Braut auf ihre Hochzeit vor.
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Schläpfer knüpft an den federleichten, verspielten Tanzstil Balanchines an und verblüfft mit feinem Spitzentanz, mit ironischen Spielereien, bis die heitere Szenerie von der gestrengen, schwarz gekleideten Barbara Stute unterbrochen wird. Die Hochzeit platzt und zur ebenso strengen Musik Bachs greift Schläpfer auf seine bekannte und hochgelobte Bewegungssprache zurück, die sich von jeder Handlungsfolie loslöst. Der Spitzentanz, mit dem Schläpfer so gern spielt, hat am Ende ausgedient. Die Seidenschühchen bleiben zu einem Grabhügel angehäuft zurück.
Denys Proshayev am Klavier hält sich mit einer differenzierten Interpretation der Bachschen Musik zurück. Vor allem die Fugen klingen recht seelenlos abgespult, was sich stellenweise auf den Tanz überträgt. Man wird Zeuge des Fantasiereichtums von Schläpfer, der vom Solo bis zum Gesamtensemble alle möglichen Formationen durchexerziert und seine Tänzer mit dankbaren Aufgaben betraut. Allerdings wirkt gerade dieser zweite Teil bisweilen wie eine Präsentation mehr oder weniger bekannter Schläpfer-Muster. Insgesamt ein wenig leichtfüßiger als sonst. Aber das Bewegungs-Reservoir für abstrakte Stücke von einer derartigen, fast einstündigen Länge droht allmählich zu erschöpfen.
Was die tänzerische Dominanz angeht, hebt sich Schläpfer freilich von Balanchines schwerelosem Duo Concertant ab. Dort sehen Sonia Dvorak und Brice Asnar, zunächst am Flügel stehend, der Pianistin Alina Bercu und dem Geiger Dragos Manza beim Vortrag der Introduktion zu Strawinskys neoklassizistisch angehauchter Pretiose zu, bevor sie in puppenhafter Anmut und entwaffnender Verspieltheit vor einem blauen Bühnenhintergrund den Frühling vorwegnehmen wollen. Immer wieder scheren sie aus und ziehen sich hinter den Flügel zurück. Ein Tanz, unbeschwert wie eine Improvisation, die Vorbereitung zur Hochzeitsplanung andeutend, an die Schläpfer anknüpft.
Das nachdenklich-düstere Ende der Schläpfer-Variationen nimmt zum Abschluss mit Kurt Jooss Grünem Tisch, einem „Totentanz in acht Bildern“, expressionistisch grelle Züge an. Blickfang sind die schrillen Kostüme von Hein Heckroth, die mit der deutlichen, scharf und konkret gezeichneten Tanzsprache von Jooss korrespondieren. Dass die Tänzer des Rheinopern-Balletts auch diese Rückwärtsrolle souverän meistern, spricht für das Niveau der Compagnie, der solche Ausflüge in Schläpfersche Gegenwelten gut bekommen.
Das Publikum im vollbesetzten Düsseldorfer Opernhaus reagiert äußerst dankbar und begeistert auf den langen und anspruchsvollen Abend.
Pedro Obiera