Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
WARPOP ...
(andcompany&Co.)
Besuch am
22. Januar 2016
(Premiere)
Zunächst einmal verweigert Opernnetz sich dem Titel dieses Werks. Die alberne Attitüde der so genannten Freien Szene, Titel zu erfinden, die auf kein Plakat mehr passen und nach Möglichkeit noch Sprache auf mehr oder minder intelligente Weise in Frage stellen, ist nicht zielführend. Ein gutes Beispiel dafür liefert das Künstlerkollektiv andcompany&Co. mit seiner Premiere am Forum Freies Theater. Warpop Mixtake Fakebook Volxfuck Peace off! ‘Schland of Confusion klingt eher abturnend als intellektuell ansprechend oder vernünftigerweise anarchistisch.
Um Anarchie, also in Frage stellen, neue Gedanken anstellen, radikale Lösungen suchen geht es dem Künstlerkollektiv offenbar. Auch wenn man das gleich wieder in Frage stellen darf, wenn man sieht, wie viel Fördermittel und Honorare erforderlich sind, um eine knapp 70-minütige Kammer-Produktion auf die Beine zu stellen, die durchaus als minimalistisch bezeichnet werden kann. Das stimmt nachdenklich.
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Auf der Studiobühne in der Kasernenstraße hat Hila Flashkes drei Rutschbahnen in unterschiedlichen Dimensionen aufgebaut. Eine davon ist für die Computertechnik reserviert. Im Hintergrund ist eine Kolonnade angedeutet. Davor hängt über Kopf ein Bildschirm, auf dem die Videos von Kathrin Krottenthaler gezeigt werden. Das Licht hat Gregor Knüppel unglücklich eingerichtet – egal, ob Hintersinn oder nicht: Das Publikum mit unerwartet aufflammenden Scheinwerfern zu blenden, ist kein Stilmittel, sondern schlicht daneben. Seidenstoffe und fantasievolle Accessoires von Raki Fernandez assoziieren Clowns in einer Manege, die am Ende ein wenig gerupft mit der Träne im Knopfloch dastehen.
Vor diesem Hintergrund haben Alexander Karschnia, Nicola Nord, Claudia Spitt und Sascha Sulimma ein eindrucksvolles historisches Szenario entworfen. Da werden die 1980-er, 1990-er Jahre mit ihren echten Ängsten und einem heute schon beinahe naiv erscheinenden Willen zur Veränderung einer von Verwirrung geprägten Gegenwart gegenübergestellt. Gehörte es früher zum guten Ton, sich einer Demonstration gegen Aufrüstung, gegen Atomenergie oder für den Frieden anzuschließen, um seiner Angst um die Zukunft Ausdruck zu verleihen, sind Demos heute pervertiert, stellen wir uns angstfrei, ohne mit den rhetorischen Verwirbelungen in den so genannten Sozialen Medien noch in irgendeiner Form rational umgehen zu können.
Vor dem babylonischen Sprachgewirr der Gegenwart erscheinen die Videosequenzen, die die vergangenen 40 Jahre widerspiegeln, geradezu albern weltentfremdet. Plötzlich scheint die Welt zu erodieren, und wir wissen nicht annähernd damit umzugehen. Die Künstler bieten die Verweigerung an. Wenn wir uns den konventionellen Mustern der Kriegsführung wie der Politik verweigern, haben wir eine Chance zu einem Neubeginn. Das ist politisches Musiktheater vom Feinsten. Zugegeben fängt die Textlastigkeit die Begeisterung ein wenig ab, aber wenn wir den Preis zahlen müssen, ist es der geringste.
Die Revolution haben schon viele gefordert. Begeistert haben sich die Intellektuellen angeschlossen. Ein Neuanfang auf Barrikaden, das hat etwas Verlockendes. Aber plötzlich müssen wir erkennen, dass nicht ein Haufen von Philosophen auf die Straße geht, sondern Menschen, die ihr Weltbild in den Seifenopern der Fernsehsender RTL und Vox prägen. Wie man damit umgeht, lässt auch Warpop offen.
Während Alexander Karschnia im Stück so etwas wie eine Moderatorenrolle einnimmt, liefern sich Nicola Nord und Claudia Spitt einen choreografierten, sich ewig wiederholenden Kampf. Gesänge, die auf die Melodien unter anderem der Neuen Deutschen Welle adaptiert werden, sind nicht der Weisheit letzter Schluss, passen aber in den Kontext.
Die zusammengemischte Musik wird vom Band abgespielt. Lautstärke bis zum Anschlag garantiert.
Am Ende des Abends applaudiert das Publikum eher zurückhaltend. Aber das darf hier als Kompliment gewertet werden. Denn an diesem Abend geht wohl kaum jemand nach Hause, ohne sich lange Gedanken über das Gewesene und die Gegenwart zu machen. Der Mainstream ist tot, es lebe das politische Musiktheater.
Michael S. Zerban