Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
KONTRASTE
(Jacqueline Fischer)
Besuch am
13. Januar 2016
(Uraufführung)
Seit 1987 bereichert das Theater der Klänge Jahr für Jahr mit ambitionierten Produktionen die Düsseldorfer Theaterszene um kleine, aber feine innovative Akzente. Im letzten Jahr stieß man mit einer Revitalisierung von Oskar Schlemmers Triadischem Ballett auf überregionales Interesse und jetzt feierte Jacqueline Fischers zweite abendfüllende Choreografie im Forum Freies Theater ihre Uraufführung.
Kontraste nennt die griechisch-stämmige Folkwang-Absolventin ihre 75-minütige Arbeit. Ihre Verbundenheit mit dem Tanztheater Pina Bauschs ist nicht zu verleugnen. Die Grenzen zwischen Musik-, Tanz- und Sprechtheater lösen sich auf. Es agieren eine Sängerin und fünf Tänzer aus insgesamt sechs Ländern, darunter eine an Multipler Sklerose erkrankte Amerikanerin, die sich tänzerisch einbringt, auch wenn sie mehrfach, ein wenig hintergründig mit ihrer Krankheit kokettierend, im Rollstuhl auftritt. Sie alle suchen „Kontakt“, wobei das episodenhaft zersplitterte Stück Annäherungs- und Integrationsversuche reflektiert, die spielerisch-improvisatorisch geprägt sind. Auch wenn sich alle dem anonymen und gleichgebürsteten Großstadttreiben, das durch neutrale Kostüme und Verkehrslärm angedeutet wird, äußerlich anpassen, können sie ihre unterschiedliche Herkunft nicht abstreifen. Zum Glück, wie Videoeinspielungen und einige Traumsequenzen zeigen. Darin erscheinen die aus Deutschland, Chile, Griechenland, Japan, dem Kongo und den USA stammenden Akteure in Landestrachten, teilweise zu mythischen Skulpturen stilisiert. Dabei scheut sich Fischer auch nicht, mit Klischees zu spielen. Amerika wiegt sich im Yankee-Doodle-Taumel, und der Afrikaner verbirgt nicht seine körperlich-sinnliche Präsenz.
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Auch wenn die kulturellen Unterschiede im Alltag der Leistungsgesellschaft nivelliert werden, kommt es nicht zu einer wirklichen Auflösung der Barrieren. Man passt sich mehr oder weniger erfolgreich den Zwängen des Business-Sogs an, näher kommen sich die Menschen nicht. Es bleibt ein schaler Geschmack von Einsamkeit in der Masse.
Dabei bewegen und präsentieren sich die Tänzer entsprechend individuell, so dass sich der Eindruck eines geschlossenen und zusammengewachsenen Ensembles nicht einstellen kann und auch gar nicht einstellen soll. Die musikalische, von J.U. Lensing zusammengemischte Klangkulisse wird vor allem von rhythmisch pulsierenden, elektronischen Geräuschimpulsen mit starken Assoziationen an Großstadtlärm geprägt. Einzelne folkloristische Einstreuungen, darunter eine aufgedreht heitere Version des Yankee Doodle, wirken in diesem Umfeld regelrecht exotisch. Wie auch der Kontrast der „Videoszenografien“ von Oliver Eltinger mit ihren Erinnerungen an die Herkunft der vorzüglichen Tänzer.
Die Sopranistin Barbara Schachtner bereichert das spartenübergreifende Projekt mit Vertonungen treffsicherer Statements zur Bedrohung der Individualität von Rousseau bis Nietzsche. Darunter auch Kierkegaards Schlüsselsatz: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“. Sätze, die freilich angesichts der sehr hoch angesetzten Gesänge nur im Programmheft oder auf eingeblendeten Projektionen verständlich werden.
Das Publikum reagiert mit langanhaltendem Beifall auf eine rundum anregende und durchaus innovative Leistung des Theaters der Klänge, das auch mit dieser Produktion auf Reisen gehen wird.
Pedro Obiera