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FRERK, DU ZWERG!
(Finn-Ole Heinrich)
Besuch am
16. Juli 2016
(Premiere)
Was sich früher Kindertheater nannte, ist heute Theater für die Familie mit einer Altersempfehlung ab fünf Jahren. Allerdings wird nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen abgeliefert, sondern das Bewusstsein der Theatermacher hat sich geändert. Was früher zur größten Aufopferung im Rahmen elterlicher Pflichten gehörte, nämlich das eigene Kind in das Kindertheater zu begleiten, wird heute zum Vergnügen. Bestes Beispiel dafür ist Frerk, du Zwerg!, das vom Jungen Staatstheater Karlsruhe in der Halle 21 der Alten Farbwerke in Düsseldorf gezeigt wird.
Finn-Ole Heinrich hat das Buch geschrieben, Regisseur Mathias Becker die Bühnenfassung entwickelt. Der Junge, der von seiner Mutter den unglücklichen Namen Frerk bekommen hat, ist in der Schule ein Außenseiter, wird dort ständig gehänselt und hat zu Hause unter den ständigen Allergien seiner Mutter gegen so ziemlich alles, was Spaß macht, zu leiden. Selbstverständlich hat Mama auch eine Tierallergie, und als der Sohn den Wunsch nach einem Hund äußert, ist ausgerechnet die Allergie gegen Hunde am allergrößten. Zeit für Frerk, in eine Fantasie-Welt zu entfliehen, in der er im Sand ein Ei findet und es versehentlich in seiner Hosentasche ausbrütet. So werden Zwerge geboren. Und die bringen ihm vor allem eins bei: Anarchie ist machbar, Herr Nachbar. Brät, brät!
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Aus solchem Stoff kann man ein ganz schönes Kammerspiel machen – oder, wie Becker entscheidet – Anarcho-Theater im besten Sinne. Zu diesem Zweck lässt er Frerk als drei Personen auftreten. Als das Licht zum ersten Auftritt aufblendet, hat Gildas Coustier den Hinterhof auf der Bühne scheinbar mit Müll vollgestellt. Schnell wird sich herausstellen, dass hier jedes Paket sorgfältig gepackt ist und seine eigene Rolle im Bühnenaufbau spielen wird. Im Hintergrund dient der Hinterausgang des Hauses zum Auf- und Abgang, links davon ist ein Metallschrank aufgebaut, der Raum für weitere Requisiten und Rückzug bietet. Wunderbar fantasievoll auch Coutiers Kostüme. Die Mutter wird als überdimensionaler Frauenmund dargestellt, den die Darsteller sich über den Kopf ziehen können. Ähnlich wie die übergroße, graue Nase, die den Vater verkörpert. Die Zwerge werden mit kleinen ausgestopften Anzügen dargestellt, die mit einer über den Kopf gezogenen Binde unter dem Kinn der Darsteller Platz finden und so eine hübsche Illusion ermöglichen.
Der Regisseur lässt die Darsteller so deutliche Worte wie „Kackbrause“ für Cola oder „Pissbrause“ für Orangen-Limonade finden. Und es bleibt zu hoffen, dass die Kinder sich so weit von der rasanten Handlung ablenken lassen, dass sie sich nicht allzu viele dieser Wörter merken. Denn zwischendurch werden die Pappkartons zu einem Riesenhund oder einem übergroßen Stuhl, vor dem ein Plantschbecken sich in einen Müsli-Teller verwandelt, indem dort Styropor-Chips eingefüllt werden. Das ist alles fein durchdacht und sorgt bei den Kleinen und Großen im Publikum für viel Spaß.
Zwischenrufe der Kinder wie „Der passt da nicht rein!“, als ein Globus in einem Puppenkoffer verschwinden soll, werden sofort von den Schauspielern aufgegriffen. So viel Begeisterung muss ja auch belohnt werden. Und das, obwohl Katharina Breier, Michel Brandt und Felician Hohnloser wahrlich genug zu tun haben, ihre komplexen Aufgaben zu erledigen. Erlebt man die drei auf der Bühne, möchte man schwören, dass die gar nicht spielen, sondern so sind, wie sie sind. Erst später, wenn man die „ganz normalen“ jungen Leute im Biergarten wiedersieht, wird richtig deutlich, wie viele Illusionen sie auf der Bühne erzeugt haben und wie großartig ihnen das gelungen ist.
Es ist kaum davon auszugehen, dass die Kinder die Botschaft des Stücks verstehen, dieser Teil ist wohl für die Eltern reserviert. Aber das Staunen und Lachen, die Magie dieser großzügigen Stunde auf der Tribüne der ehemaligen Lagerhalle, die gehören auch und gerade den Kleinen. Allen gemeinsam ist das Gefühl, einen wundervollen Theaterbesuch erlebt zu haben, den wohl keiner so schnell vergessen wird. Da ist der langanhaltende, begeisterte Applaus der geringste Beweis. Das Strahlen in den Augen und zufriedene Grinsen der Menschen, wenn sie das Haus verlassen, ist der wohl noch schönere Lohn für so viel Fantasie und Freude am Spiel.
Michael S. Zerban