Kulturmagazin mit Charakter
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DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
Besuch am
20. Februar 2016
(Premiere am 11. November 2001)
Vor knapp 15 Jahren hatte Die Walküre in der Inszenierung von Willy Decker Premiere, seitdem hob sich der Vorhang 24-mal über dieses Werk. In einer Zeit, in der die Stadt Dresden politisch aufgrund der unseligen „Pegida“-Auftritte im Fokus der Öffentlichkeit steht und die Semperoper viele Anstrengungen unternimmt, um hier einen gesellschaftspolitischen Kontrapunkt zu setzen, wirkt diese Inszenierung verstaubt, und politisch nichtssagend. Das mag durchaus Deckers Intention vor anderthalb Dekaden gewesen sein, doch passt dieses Kammerschauspiel nicht mehr in die aktuelle Zeit, dafür ist auch schon zu viel über den Ring und insbesondere über die Walküre gesagt worden.
Vorder- und Hinterbühne bestehen aus Theatersesseln, wie sie in der Semperoper benutzt werden, das eigentliche Geschehen findet auf der Mittelbühne statt, abgetrennt durch einen durch die Protagonisten aufziehbaren Theatervorhang. Schnell wird klar, hier entsteht ein Theater im Theater, ein Erklärstück für Wagner-Anfänger oder für die, die es immer noch nicht verstanden haben. Gottvater Wotan ist der Regisseur seiner eigenen Inszenierung, mit der er am Ende scheitern muss. So erscheint er schon zu Beginn des ersten Aufzuges und bringt das Zwillingspar in Hundings Hütte zusammen. Dabei betrachtet er ein Kastenmodell des Bühnenbildes des ersten Aufzuges.
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Das sind nun wahrlich keine genialen Regietricks, wirkt handwerklich bieder und irgendwie meint man, dass alles so schon mal gesehen zu haben, nicht nur bei Wagner. Das Bühnenbild von Wolfgang Gussmann und die Kostüme von Frauke Schernau tragen nicht dazu bei, die Spannungsmomente zu verstärken.
So ist Hundings Hütte komplett mit Esche furniert, in der Mitte eine Säule mit einem überdimensionalen Schwert. Zwei Stühle und ein großes Hochzeitsbild von Hunding und Sieglinde sind die einzigen Requisiten. Die Kostüme sind zeitlos, vielleicht dem Beginn des 20. Jahrhunderts zuzuordnen. Zurück zu Wotan als Regisseur. Er erscheint zwischen den Theaterstühlen, wenn er mal wieder in seine Inszenierung eingreifen muss. Mit einer ausladenden Geste öffnet er die Hinterbühne, damit die Winterstürme weichen können und Siegmund nun endlich seine Sieglinde erobern kann. Damit ist klar, das Wälsungen-Paar ist nur eine Marionette in Wotans Ränke-Spiel, genauso wie Knecht Hunding, der auch ein überdimensioniertes Schwert sein Eigen nennen darf. Es geht um Machtmissbrauch und Machtzerfall. Wenn Hunding Sieglinde vor ihrem Hochzeitsbild niederknien lässt und sie ihm in devoter Haltung die Schuhe putzen muss, so mag das zwar eine Charakterbeschreibung Hundings sein, hat aber keinen weiteren Nährwert.
Brünnhilde ist Regisseur Wotans Lieblingsschauspielerin. Sie ist frech, aufmüpfig und darf sich Freiheiten erlauben, wie kein anderer Protagonist. Doch ihre Kraft und ihr Wille zur Revolte bringen den Regisseur um den Verstand, sein so schön eingerichtetes Kammerspiel droht auseinander zu brechen. Und natürlich gibt es über jeden Regisseur noch einen Generalintendanten, in diesem Fall sogar eine Generalintendantin. Fricka, Chefin im Ring und nebenbei Wotans Gemahlin und Hüterin der Ehe. Ein inzestuöses Kammerspiel des Herrn Regisseurs? Aber nicht in Frickas Walhalla-Theater, da muss alles seine göttliche Ordnung haben. Und so muss der Regisseur Wotan sich seiner Generalintendantin Fricka fügen, das Stück umschreiben, und am Schluss seine Hauptdarstellerin Brünnhilde wegen Befehlsverweigerung aus dem Theater verbannen. Mit einer straffen Personenregie hätte man dieses Regiekonzept vielleicht auch stringent umsetzen können, doch, vielleicht auch den 15 Jahren geschuldet, dieses Konzept zündet nicht mehr.
Und wenn im zweiten Aufzug Wotan von einer großen Heldenfigur aus Gips ein Laken abzieht und sich dabei eine große Staubwolke entlädt, so ist dieser Moment wirklich doppeldeutig zu sehen. Diese Inszenierung ist angestaubt, und irgendwann beginnt man sich zu langweilen. Und warum müssen Walküren eigentlich immer Militärmäntel tragen und feuerrotes Haar haben? Wenigstens hatte jede von ihnen eine unterschiedliche Frisur, so dass den neun Schwestern doch etwas Individualität zugebilligt wird.
Deckers schlichter Erzählweise fehlen die Pointen und emotionalen Durchbruchsmomente, die man von seinen früheren Arbeiten gewohnt war. Die Macht- und Minnespiele der Wälsungen, der eheliche Zwist im Hause Wotan und vor allem das pubertierende Jungmädchengespiel der Walküren ist harmlos und kann auch den unbedarften Zuschauer nicht wirklich aus seinem Sessel reißen. Wenn Brünnhilde zum Schluss auf einer Weltkugel über rot flackernden Plüschsesseln in tiefen Schlaf versetzt wird, so ist das optisch nett dargestellt, aber die Reduzierung auf ein allzu menschliches Kammerspiel reicht einfach nicht.
Dass der Abend aber trotzdem noch zu einem großen Erlebnis wird, ist der musikalischen und sängerischen Gestaltung des Ensembles zu verdanken. Allen voran Nina Stemme mit der Partie der Brünnhilde. Sie begeistert mit strahlenden Höhen und einer Stimme, die eher jugendlich-dramatisch als hochdramatisch klingt, was ihrer Rollenanlage aber entgegen kommt. Und immer wieder erzeugt sie leise Piano-Töne und beweist damit, wie differenziert und intelligent man diese Partie anlegen kann.
Markus Marquardt hat nach seinem großartigen Debüt als Wotan vor zwei Jahren in Leipzig an dieser Partie weitergearbeitet und gefeilt. Mit ausdrucksstarkem und textverständlichem Bariton, mit kraftvollen Ausbrüchen und sicheren Höhen, aber auch angenehmen Piano-Tönen in seinem langen Monolog verkörpert er idealtypisch den scheiternden Regisseur. Sein Leb wohl, du kühnes herrliches Kind ist der emotionalste Moment an diesem Abend.
Petra Lang hat als Mezzosopranistin alle großen Rollen des Wagner-Fachs gesungen und wechselte dann erfolgreich in das hochdramatische Fach. Mit der Rolle der Sieglinde, die eher dem jugendlich-dramatischen Fach zuzuordnen ist, tut sie sich anfangs etwas schwer, scheint zwischen den einzelnen Registern zu schwanken, als ob sie nach dem richtigen Ausdruck sucht. Dennoch setzt sie mit sicheren, klaren Höhen und einer tiefen Mittellage deutliche Akzente, ihre dramatischen Ausbrüche sind höhensicher und ohne Brüche. Christopher Ventris ist kurzfristig als Siegmund für den erkrankten Johan Botha eingesprungen und legt diese Partie sehr lyrisch an. Stimmlich eher mehr Lohengrin oder Parsifal, geht er behutsam mit seiner Kraft um und erzeugt in den entscheidenden Momenten leuchtende Höhen, auch wenn der Stahl im Timbre etwas fehlt. Zur tiefwarmen Stimmlage von Petra Lang ein gesanglich schöner Kontrapunkt, der im Finale des ersten Aufzuges harmonisch zusammenfindet.
Georg Zeppenfeld überzeugt als grobschlächtiger Hunding mit markant schwarzem Bass und aggressivem Habitus, während Christa Mayer mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran und großer Bühnenpräsenz das Idealbild einer dominanten Fricka darstellt. Die acht Walküren harmonieren stimmlich mit kraftvollem Auftritt, das vereinzelte Buh am Schluss ist sicher nicht berechtigt.
Der Star des Abends ist fraglos Dirigent Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Mit präzisem Schlag und viel Sensibilität arbeitet er die Leitmotive und die großen Orchesterszenen klar heraus, bereitet die expressiven Ausbrüche vor, um dann das Orchester immer wieder zurückzunehmen, ins Piano zu gehen und dabei fürsorglich sängerfreundlich zu begleiten. Das Tempo ist zügig, mit exakt 60 – 90 – 80 – Minuten können diese drei Aufzüge als musikalische Referenz gesehen werden.
Die Staatskapelle überzeugt an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei und durch ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Düster und wuchtig erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, der peitschende Sturm tobt quasi aus dem Orchestergraben, aber er legt sich auch sofort wieder, um in kammermusikalischen Klängen zu schwelgen, insbesondere in den warmen Cello-Passagen. Sauber intonieren die Bläser, und die Leitmotive werden scharf akzentuiert herausgearbeitet.
Am Schluss gibt es großen Jubel, minutenlangen Beifall und Bravo-Rufe für die Sänger. Nina Stemme und Markus Marquardt erhalten den größten Applaus. Als Christian Thielemann vor den Vorhang tritt, braust frenetischer Applaus auf, und das Publikum erhebt sich unisono zu Ehren des Maestros und seines Orchesters. So endet ein von der Inszenierung eher enttäuschendes Kammerspiel doch noch versöhnlich, der Musik und dem Gesang sei es gedankt. Und das ist bei Wagner immer noch das Wichtigste.
Andreas H. Hölscher