Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
Besuch am
31. Mai 2016
(Premiere)
Sechs Jahre ist es her, dass man auf der Halde Prosper-Daniel in der „BergArena“ eine Aida mit durchaus gemischten Gefühlen erleben durfte. Unvergessen eher als Anekdote. Jetzt wagt die Stadt Bottrop einen neuerlichen Anlauf und gibt dem Künstlerischen Leiter, Regisseur und Bühnenbildner, Thomas Grandoch, eine zweite Chance. In Bottrop wird Heimatverbundenheit großgeschrieben. Grandoch ist in der Ruhrgebietsstadt geboren.
Herbe Kritik hagelt es gleich zu Beginn. Da stehen hunderte von Menschen auf der Straße und warten auf den Bus-Transfer vom unorganisierten Parkplatz zum Aufführungsort. Der Witz: Nicht etwa am Busverkehr hapert es, sondern daran, dass es genau einen Kartenabreißer gibt. Da müssen gerade ältere Besucher schon mal Kondition im Anstehen beweisen. Nach dem Gewitter, das für den Ausfall der Generalprobe sorgte, herrscht an diesem Abend herrliches Frühlingswetter. Die Sonne bringt schon ausreichend Kraft auf, um auch in den Abendstunden in der Menschenschlange für Schweiß auf der Stirn zu sorgen.
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Und dann tauchen die Besucher in eine andere Welt ein. Nahezu nichts ist mehr wie in der Vergangenheit. Das Catering ist vom Aufführungsort auch in seinen Ausdünstungen abgeriegelt. Dort erwartet einen überaus freundliches und aufmerksames Personal. Durch einen Container-Tunnel geht es zur Arena, die links und rechts von jeweils einer Container-Burg begrenzt ist. An die Container-Burg, auf die man beim Eintritt schaut, schließt sich linkerhand die Orchesterplattform an. Oberbürgermeister Bernd Tischler hat Grund zur Freude: Ausverkauft ist das Theaterrund.
Zunächst einmal hat das Publikum dazugelernt. Kein Volksfest mehr, sondern Open-Air-Oper. Ernsthaftigkeit und Disziplin stehen im Vordergrund. Die Picknick-Körbe bleiben der Pause vorbehalten.
Aber auch Grandoch überzeugt mit seinem Konzept. Er hat das Anarchische des Ortes mit seinem Bühnenbild weiter verschärft. Im Fliegenden Holländer sieht er nicht die wabernden Welten einer fiebernden Senta, sondern zwei Menschen, die versuchen, einem verrotteten, kapitalistischen System zu entfliehen. In ihrem Scheitern implodiert dieses System. Das ist feinstes politisches Musiktheater ohne dröge Plattheiten. Stattdessen gibt es spritzige Einfälle, die dem Open-Air-Flair angepasst sind. Mit José Eduardo Luna hat er bei Kostümen und Masken einen Bruder im Geiste gefunden. Der will mit den puppenhaften und übertrieben bunten Kostümen eine „naive, naturbelassene Welt“ darstellen, die sich gegen Konsum und Mainstream wenden. Durchdachte Kunst in der idealen Schnittmenge von Gefallen und Handwerk, die sich im rechten Licht wiederfindet. Grandoch ist es geradezu kongenial gelungen, mit dem Tagesverlauf zu arbeiten. Im hellen Licht des frühen Abends allenfalls ein Verfolger, um eine Figur unmerklich glänzen zu lassen, nach Einbruch der Dunkelheit kommen zugespitzte Lichteffekte zum Einsatz und sorgen für die nötige Dramatik. Das ist so elegant gemacht, dass man sich vorstellen möchte, wie der Regisseur tagelang oben auf der Halde gesessen und die Lichtwechsel beobachtet hat. Vom Feinsten. Weniger gelungen fällt das Sounddesign von Thomas Wegner aus. Nachdem die Generalprobe entfallen musste, hapert es doch deutlich an der technischen Verstärkung im Gesang. Das ist Open Air. In den Folgevorstellungen wird das sicherlich behoben sein.
Und ändert wohl auch wenig an den Gesangsleistungen. Darstellerisch gibt es kaum Einwände, sind doch die Anforderungen eher gering. Aber im Gesang hätte man sich mehr gewünscht. Elisabeth Otzisk macht es vor. In den Höhen einwandfrei, mangelt es doch deutlich am Textverständnis. Auch Bastian Everink lässt es als Holländer bei gesanglichem Können an Verständlichkeit mangeln. Michael Tews als Daland, Lars Rühl als Erik und Almuth Herbst als Mary können da schon eher punkten. Christian Sturm als Steuermann hat noch am ehesten damit zu kämpfen, dass die elektronische Verstärkung der Stimmen bei der Premiere nicht so recht funktionieren will.
Großartig hingegen der Einsatz der vielen ehrenamtlichen Kräfte. Kira Zurhausen und Ulla Schulte-Zurhausen haben für eine wirklich gefällige Choreografie der Laien gesorgt, Ludger J. Köller steht mit der Partitur in der Hand im Arenenrund, verfolgt die Choreinsätze äußerlich emotionslos, zuckt bei den Fehlern nicht zusammen, aber das ist auch unnötig, stimmt doch der Gesamteindruck. Zu dem tragen auch rund 80 Statisten bei. Nun ist die „ehrenamtliche Arbeit“ durchaus nicht unkritisch zu feiern. Wer aber die Begeisterung von Chören, Ballettschülern und Schülerinnen vom hiesigen Gymnasium erlebt, weiß, dass es hier nicht um Lohndumping, sondern um die Freude der Teilnahme an einer Aufführung geht, die ohne dieses ehrenamtliche Engagement nicht stattgefunden hätte. Und damit geht das voll und ganz in Ordnung.
Ordentlich ist auch die Leistung der Neuen Philharmonie Westfalen. Valtteri Rauhalammi steht engagiert am Pult. Heraus kommt eine Leistung, die in keinem Opernhaus Bestand hätte, aber an diesem Abend gefällt. Es ist halt Open-air.
Und so steht mit den letzten Noten das Publikum auf, ruft „Bravo!“ in die Arena und feiert die Künstler. So richtig lange will allerdings keiner applaudieren, gilt es doch, schnellstmöglich den Bus ins Tal zu erwischen. Trotzdem: Grandoch hat die Veranstaltung im Vergleich zur Aida um mehr als 120 Prozent angehoben. Und er macht Mut, Oper auch abseits konservativer Vorstellungen zu inszenieren. Was sich nach der ersten Operninszenierung vor sechs Jahren nicht so recht einstellen wollte: Freude auf die nächste Oper auf der Halde. Bis dahin gibt es allerdings noch einige Aufführungen vom Fliegenden Holländer. Und den sollte sich keiner entgehen lassen.
Michael S. Zerban