Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thilo Beu

Aktuelle Aufführungen

Salomes und Elektras Schwester

HOLOFERNES
(Emil Nikolaus von Reznicek)

Besuch am
2. Juni 2016
(Premiere am 29. Mai 2016)

 

 

Theater Bonn

 

Wenn Judith zu Beginn zu einer großen Rache-Arie anhebt, wenn sie später das abgeschlagene Haupt von Holofernes schwingt, wirkt sie wie eine Schwester von Elektra und Salome. Der Einfluss der epochalen Einakter von Richard Strauss ist nicht zu verleugnen in Emil Nikolaus von Rezniceks nahezu völlig vergessener Oper Holofernes. Nicht so brutal wie in der Elektra und nicht so schillernd wie in der Salome kommt Rezniceks Musik daher, die aber erheblich mehr Substanz erhält als der einzig bekannte Ohrwurm aus dessen Oper Donna Diana. Musikdramatisches Talent kann man dem zu seiner Zeit sogar von Richard Strauss hochgeschätzten Österreicher nicht absprechen.

Allerdings teilt Reznicek das Schicksal anderer hochbegabter Musiker wie etwa Ernst von Dohnányi, die nicht in der Lage waren, ihre Begabung nach ein paar frühen Geniestreichen weiterzuentwickeln. Der schöpferische Prozess verläuft eingleisig und wird schnell von der Zeit überholt. Davon ist der 1923 uraufgeführte Holofernes zwar noch nicht direkt betroffen. Schließlich komponierten Puccini und Korngold zu dieser Zeit noch sehr erfolgreich im Fahrwasser der Romantik. Aber letztlich tritt auch Reznicek auf der Stelle, im Dritten Reich auch noch mit Schützenhilfe der Nazis.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Neben allerlei Anspielungen an die Strauss-Opern ist auch Wagners Parsifal nicht fern. Sehr eigenwillig und originell geht Reznicek mit jüdischen Einflüssen um, wenn er im Vorspiel Max Bruchs musikalische Reflexion zum hebräischen Gebet Kol Nidrei zitiert und umspielt. Neben packenden dramatischen Szenen enthält die Musik freilich auch viel oberflächlich kolportierten exotischen Zierrat wie aus schlechten Sandalenfilmen.

Die Handlung basiert auf Friedrich Hebbels Drama Judith und Holofernes, in dem sich die sexuell hochsensibel reagierende Judith beim Babylonierkönig Holofernes einschmeichelt, um ihre bethulischen Landsleute zu retten. Ihre tatsächliche Liebe zu dem Tyrannen stürzt sie in einen tragischen Konflikt. Sie entschließt sich, Holofernes im Schlaf zu enthaupten und bringt sich, vom Liebesschmerz aufgezehrt, selbst um.

Foto © Thilo Beu

Insgesamt also gute Voraussetzungen für einen durchaus spannenden Opernabend. Der ständig auf der Suche nach interessanten Raritäten Ausschau haltendenden Bonner Oper ist auch diesmal eine lohnende Entdeckung gelungen, die musikalisch ohne nennenswerte Abstriche dem Werk gerecht wird. Szenisch drängt sich jedoch wieder einmal die Frage auf, warum sich ein Regisseur wie der Hamburger Jürgen R. Weber, der sich vielseitig auf dem Opern- und dem telegenen Seifenopern-Parkett bewegt, ein Werk antut, das er nicht ernst nehmen will oder kann.

Die erotische Kraft, die Judith ausstrahlt und zugleich erdrückt, schlägt sich in billigen Gags an der Disco-Stange nieder. Und wenn man Holofernes zur bärtig-garstigen Karikatur eines Bilderbuch-Diktators schrumpfen lässt, verliert die Liebe Judiths zu dem schillernden Gewaltmenschen jede Substanz. Die komplexe Beziehung der nicht minder komplexen Figuren wird banalisiert, die Handlung läuft ins Leere. Um das konzeptionelle Vakuum zu füllen, greift Weber zu billigen Tricks aus der Mottenkiste der Oper. Obwohl von Personenführung keine Rede sein kann, imitiert der Chor die plakativen Gesten der Protagonisten wie unartige Schüler hinter dem Rücken des Lehrers. Und warum Judiths Zofe neckisch umhertrippeln und mit dem Kopf wackeln muss, bleibt das Geheimnis des „Regisseurs“. Selbst wenn solche Kalauer komisch wirken könnten, bleibt die Frage, was denn am Stoff und den Figuren überhaupt so komisch sein soll. Dafür wird nicht an Theaterblut gegeizt, das in dieser Fülle schon wieder unfreiwillig komisch wirkt.

Allzu viele Details sind ohnehin nicht zu sehen. Dafür müllt Hans Irwin Kittel die Bühne mit massigen Versatzstücken zu, die den in wuchtige Kostüme gepackten Figuren kaum Raum zur Entfaltung bieten und sie optisch an den Rand drängen. Mummenschanz auf allen Ebenen.

Zum Glück gelingt es Jacques Lacombe mit dem Orchester der Beethovenhalle, wenigstens die musikalischen Meriten des Stücks zur Geltung bringen zu können. Die spezifische Leuchtkraft der Musik ist bei ihm bestens aufgehoben. Und die Judith findet in der souveränen, höhensicheren, ausdrucksstarken Sängerdarstellerin Johanni van Oostrum eine nahezu ideale Interpretin. Ihre Liebes- und Konfliktduette mit Holofernes könnten zum Ereignis werden, wenn sich Mark Morouse nicht wie ein Trottel aufführen müsste. Die grobe szenische Gestaltung der Rolle färbt sich leider auch auf seinen robusten Gesang aus.

Einen würdigen Osias als Oberpriester von Bethulien präsentiert Daniel Pannermayr mit seinem mächtigen Bass. Ceri Williams holt aus der Rolle von Judiths Magd Abba heraus, was ihr unter den szenischen Umständen möglich ist. Vorzüglich sind die vielen kleineren Rollen besetzt, und der Chor des Theaters Bonn rundet die musikalisch hörenswerte Gesamtleistung ab.

In der zweiten Aufführung klaffen bereits große Lücken im Zuschauerraum. Von einigen begeisterten Zurufen abgesehen, reagieren die Besucher mit freundlichem, wenn auch nicht überschwänglichem Beifall.

Pedro Obiera