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Wenn nach einem fast vierstündigen Opernabend das Publikum länger klatscht als die Applausordnung läuft, dann muss irgendwas ganz richtig gelaufen sein. So passiert es in einer der Folgevorstellungen von Puccinis Il Trittico am Theater Bielefeld. Der Vorhang öffnet sich für die erste der drei Kurzopern, die man an diesem Abend sehen wird. Die Bühne scheint in den Orchestergraben hinabzurutschen. Ein abgewracktes Schiff ist im Bühnenboden gestrandet – ein Symbol für auf Grund gelaufene Wünsche und Träume, was die Zuschauer in allen drei Opern begleiten wird. Stephan Prattes gelingt damit eine kleine Kernaussage aller drei Opern. Als aufkeimende Hoffnung dient ein kleiner, leuchtender Glaskasten, ähnlich dem eines Treibhauses. In Il tabarro ist er das Symbol für die Liebe zwischen Giorgetta und Luigi. Beide sind in der Öde ihres Lebens gestrandet. Giorgetta ist dazu unglücklich mit dem völlig desillusionierten Michelle verheiratet. Die Arbeiter, die die Schiffsladung löschen, sind groteske Figuren, von Ursula Kudrna in eine abstruse Mischung von barocker Mode gekleidet. In der zweiten Oper, Suor Angelica, die im Konvent spielt, ist die Uniformität eines Klosters angedeutet. Das Treibhaus ist nun in voller Größe mit auf der Bühne und die pflanzenbehangene Klausur der verstoßenen Titelfigur. Die Hoffnung ihr Kind wiederzusehen, wird ihr ebenso geraubt wie ihr geliebtes Grün.
Aber auch das kehrt wieder als Zimmerschmuck des Buoso Donati, dessen Ableben zu Beginn von Gianni Schicchi von seinen gierigen Verwandten beschleunigt wird. Die dritte Oper spielt im Bauch der Bühne, unter Treibhaus und Schiff, quasi beim Bodensatz der Gesellschaft. Bei dieser Form von Erbschleicherei und Betrug ist alle Hoffnung verloren. Regisseur Maximilian von Mayenburg inszeniert es als grotesken Streich fern aller Moral und Ernsthaftigkeit mit wilder Körpersprache in einem familiären Durcheinander. Anders hätte man die Trostlosigkeit der beiden anderen Opern auch kaum auflösen können, ohne einen Bruch zu erzeugen. So angedeutet Ort und Zeit sind, so echt sind die Gefühle der Personen. Weder den zu Recht eifersüchtigen Michele noch die Fürstin, die der Angelica ihr Kind vorenthält, kann man hier als Bösewichte ausmachen. Alle Figuren sind gefangen in ihren Umständen und Gefühlen. Aber die Kälte, die alle Hoffnungen erstickt, ist in den beiden ersten Opern im Zuschauerraum spürbar. Bei Gianni Schicchi scheint wenigstens die Liebe von Lauretta und Rinuccio eine Zukunft zu haben.
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Große Gefühle toben auch im Orchestergraben. Die Bielefelder Philharmoniker spielen um ihr Leben, so scheint es zumindest. Wie sich da Träume und Hoffnungen bilden und wieder auflösen, wie wunderschön leise diese Musik dem Zuhörer entgegen schwebt, das ist wirklich erstklassig und weit mehr als man erwarten kann. Doch Puccini hat eben auch das Brutale, Zerstörende komponiert. Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic, der eigentlich eine so ausgefeilte Interpretation vorweisen kann, nutzt es fälschlicherweise, um die Stimmen zu zerstören. Unglaublich, wie unsensibel er im Forte den Sängern jede Chance auf einen schönen Ton nimmt.
Selbst der einzige Gast an diesem Abend, Michail Agafonov, der als Luigi mit kräftigem, schönem Tenor über genug Resonanz verfügt, mag diesen Kampf verlieren, gewinnt aber die Sympathien des Publikums. Der Abend hat aber noch andere Gewinner: Etwa den gewitzten und charismatischen Gianni Schicchi von Frank Dolphing Wong oder den düsteren Michele von Evgueniy Alexiev. Auch Daniel Pataky als Rinuccio weiß sich aus der Masse von Sängern abzuheben. Um es zusammenfassend zu sagen: Ein Hausensemble eines eher kleinen, ostwestfälischen Stadttheaters wächst zur großen italienischen Oper zusammen. Da hört man bei Katja Starke als Zia oder Nohad Becker als Frugola spannende Rollenportraits. Man hört zwei klangvolle Bässe namens Moon Soo Park und Yoshiaki Kimura. Cornelie Isenburger liefert den Sopranhit Oh mio babbino caro nicht mit Starallüren ab, sondern im Sinne der Handlung. Für die Novizinnen kann das Theater auf Sängerinnen wie Annika Brönstrup und Christin Enke-Mollnar aus dem Frauenchor zurückgreifen. Die Stimmenvielfalt in dieser Produktion ist beachtlich. Der von Hagen Enke vorbereitete Opernchor macht da keine Ausnahme. Etwas problematischer ist aber Sarah Kuffner in den Rollen der Angelica und Giorgetta. Die Tessitura ist schlichtweg zu hoch für sie, die Spitzentöne daher gestemmt und ungenau. Doch die Sängerin, die als Tatjana und Elisabeth an gleicher Stelle überzeugte, hat eben jenen emotionalen Kern in ihrer Stimme, die damit einiges wettmacht.
Vom Publikum wird sie in beiden Opern bejubelt. Überhaupt zeigt sich das Publikum im leider nicht gut besuchten Theater als angenehm ruhig, konzentriert und vor allem als begeisterungsfähig. Jede Oper für sich bekommt viel Applaus, die Sänger werden gefeiert. Nach dem beschwingten Gianni Schicchi ist der Applaus besonders lang. Die Zuschauer klatschen noch, als das Licht im Saal angeht, und trotzen einem Opernabend, der mit zwei Pausen fast auf vier Stunden kommt. Wenn der aber so präsentiert wird wie hier in Bielefeld, dann darf es ruhig noch länger sein. Respekt.
Christoph Broermann