Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Jäger

Aktuelle Aufführungen

Zeitgenössisches zum Abschluss

MELUSINE
(Aribert Reimann)

Besuch am
7. Juli 2016
(Premiere)

 

 

Universität der Künste, Berlin

Als Melusine 1971 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt wurde, erahnte keiner, dass das Thema Rettung der Natur heuer so brisant ist. Heute kann man das Werk als hoffnungsloses Plädoyer für die zerstörte Natur einerseits und die kalte Profitgier anderseits verstehen.

Melusine, Kind-Frau und Natur-Kind, wird kleinbürgerlich von Ihrer Mutter, Madame Lapérouse, mit dem Immobilienmakler Max Oleander verheiratet. Die junge Frau bewahrt jedoch ihre Jungfräulichkeit und verschwindet immer wieder in den Wald ihrer Kindheit, um mit Vögeln und Blumen zu sprechen, ebenso mit den Nymphen und auch mit der Muhme Pythia, die sie als geistige Mutter verehrt. Nun soll der Wald an einen mächtigen und ebenso mysteriösen Grafen verkauft– der Wald zerstört und ein Schloss gebaut werden. Oleander und Madame Lapérouse drängen Melusine, diese Tatsache zu akzeptieren und endlich ihren ehelichen Pflichten nachzugehen. Urteilt man nach den vielen Bandagen an Armen und Beinen, hat Melusine schon einige Selbstmordversuche unternommen. Sie flüchtet in den Wald und fleht Phythia um Hilfe an, den Wald zu retten.  Die verleiht Melusine einen Fisch und unwiderstehliche Verführungskünste unter der Voraussetzung, dass Melusine diese Künste wie ein Handwerk benutzt und sich selber nicht emotional involviert. Daraufhin verfallen mehrere Männer im Dienste des Grafen ihren Verführungskünsten und stürzen sich selbst in Elend und Tod.  Schnell erhält die Baustelle den Ruf, verflucht zu sein. Letztendlich wird das Schloss doch gebaut und mit einem großen Fest eingeweiht. Erst jetzt tritt Graf Lusignan auf und trifft Melusine. Es ist ein Fall von Amour fou für beide, und das Liebesduett ist ein wunderbarer lyrischer und musikalischer Höhepunkt der Oper. Dass es kein Happy End geben wird, wissen beide und akzeptieren es voller Liebesschmerz.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der damals noch junge Aribert Reimann verstand es, eine eigene, dichte, atmosphärische und expressive Sprache zu entwickeln, wobei seine Liebe zu Alban Berg durchaus zu erkennen ist, ebenso wie es Parallelen zu den Charakteren der Lulu und auch der Melisande von Debussy gibt. Dabei hat er auch Unterstützung von dem damals führenden Librettisten Claus Henneberg, der aus der Vorlage von Yvan Golls Schauspiel Melusine ein mythologisches und surrealistisches Drama geschrieben hat. 

Foto © Thomas Jäger

Regisseur Frank Hilbrich versteht es, seine jungen Darsteller dazu zu animieren, sich in diese Charaktere nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch hineinzufinden. Zusammen mit Bühnenbildnerin Lisa Käppler wird eine Welt kreiert, die rein gar nichts mehr mit Natur zu tun hat – in einer monochromen, abstrakten, weißen Umwelt, wehen Plastikplanen herum. Die dienen als Verstecke, Schlossmauern, Kokons, Todesbringer, je nach Einsatz. Die Kostüme von Lisa Mareike Poethke benutzen ebenfalls Plastik, zum Beispiel für den Fischleib der Melusine.

Geradezu atemberaubend Karola Sophia Schmid, die mit ihren sicheren und strahlenden Koloraturen und ihrem mädchenhaften Auftritt eine nahezu perfekte Verkörperung der Melusine gibt.  Mezzosopran Ena Pongrac als ihre Mutter und Tenor Seung Yeop Lee als Ehemann Oleander interpretieren ihre Charaktere in einer Art, die sehr an die Humorlosigkeit des Ehepaars vom amerikanischen Maler Grant Wood in American Gothic erinnert. Die zwielichtige Gestalt der Phythia, mal kettenrauchende Hexe, mal manipulierender Naturgeist, wird von der Mezzosopranisitin Farrah El Dibany charakterstark verkörpert. HungMin Kim gibt Oger, den Vater von Melusine, als herumpolternde Zirkusfigur. Als ruhender Pol wirkt der Bariton Jonas Böhm, der als einzig normaler und sympathischer Mensch den Grafen Lusignan verkörpert. Kein Wunder, dass Melusine sich in ihn verliebt. Anrührend, wie Melusine und der Graf sich die Bandagen gegenseitig während ihrer Liebesszene abnehmen – der eine wird vom anderen geheilt.

Das 33-köpfige Ensemble der Brandenburger Symphoniker spielt Reimanns komplizierte metrische Verschachtelungen und polyrhythmische Strukturen mit einer fast schimmernden Transparenz, dank des Dirigenten Errico Fresis.

Melusine ist die Abschlussproduktion des Studiengangs Gesang/Musiktheater in Kooperation mit den Studiengängen Bühnen- und Kostümbild der Universität der Künste Berlin. Das hohe Niveau, besonders der Sänger, lässt aufhorchen.

Enthusiastischer Applaus für alle Mitwirkenden im fast ausverkauften Saal, besonders auch für Aribert Reimann, den eine lange Tradition mit der Universität der Künste verbindet.

Zenaida des Aubris