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Geschichten aus dem Wiener Wald, das bitterböse Volksstück von Ödön von Horváth aus dem Jahr 1931, zeigt den sozialen Abstieg des naiven Mädchens Marianne inmitten einer brutal-verlogenen Gesellschaft. Der Komponist HK Gruber hat aus ihm 2014 eine musikalisch vielfarbig schillernde Oper fabriziert und sie zitatenreich mit Anklängen an Wiener Musik, an Alban Berg und Richard Strauss, an Songs und Kabarett der 1920-er Jahre angereichert. Die Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen war ein großer Erfolg, der sich in der Komischen Oper Berlin, wo das Werk zum zweiten Mal szenisch gezeigt wird, wiederholt.
Penibel realistisch zeigen die Bühnenbilder von Robert Rumas eine Badestelle an der Donau – oder an der Havel, denn die dicken Autos am Ufer tragen Berliner Kennzeichen – eine Tankstelle und eine triste Vorstadt. Die Personen, die sich im ersten Akt an einem Fluss zur Verlobungsfeier Mariannes mit dem Fleischer Oskar treffen, stammen sichtbar aus der Unterschicht. Sie sind tätowiert und mit billigem Schick gekleidet – die treffenden Kostüme stammen von Julia Kornacka.
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Regisseur Michał Zadara zeigt einen erbarmungslosen Kosmos, in dem die Menschen roh und triebhaft, Frauen kaum mehr als Lustobjekte und große Schlitten für das Selbstbewusstsein wichtig sind. Unerbittlich führt er durch den Leidensweg Mariannes, die kurz vor ihrer Hochzeit mit einem Hallodri durchbrennt, ein Kind von ihm bekommt und schließlich aus finanzieller Not als Nackttänzerin arbeitet. Wie sich Marianne in dieser Bar-Szene auf entwürdigende Weise den Freiern anbietet, ist von verstörender Intensität. Am grausigen Ende wird das Baby, das bei Mutter und Großmutter untergebracht ist, von der Oma getötet, während Marianne desillusioniert vom Leben zu ihrem Verlobten zurückkehrt. Der hat nichts Besseres zu tun, trotz des erkennbaren Elends Fotos von seiner Braut zu machen. Positive Gefühle oder mitmenschliche Regungen haben in dieser Gesellschaft keinen Platz.
Was für großartige und zudem vorbildlich textdeutliche Sängerdarsteller die Komische Oper besitzt, ist auch in dieser Premiere zu erleben. Cornelia Zink als Marianne gibt sich schonungslos ihrer Partie hin, lässt sich sogar darauf ein, mit nacktem Oberkörper aufzutreten und bietet selbst bei erniedrigenden Aktionen solch verinnerlichte Stimmkultur und aufblühende Höhen, dass einem der Atem stockt. Ursula Hesse von den Steinen präsentiert als Valerie pralle stimmliche und körperliche Verführungskunst. Die Großmutter, die in Bregenz mit Anja Silja besetzt war, erhält auch in Berlin durch die starke Bühnenpräsenz von Karan Armstrong Gewicht. Zu ein wenig menschlicher Wärme fähig ist allein Christiane Oertel als Mutter. Bestens aufgestellt ist auch das Männerensemble: der aalglatte Verführer Alfred von Tom Erik Lie; der schmierige, tenorglänzende Oskar von Adrian Strooper; der geile Zauberkönig von Jens Larsen und der Erich von Ivan Turšić mit politisch rechter Gesinnung. Jeder für sich drückt seiner Rolle einen charakteristischen Stempel auf.
Der Bonner Chefdirigent Hendrik Vestmann, einer der mutmaßlichen Bewerber für den freiwerdenden Posten des Generalmusikdirektors an der Komischen Oper, arbeitet mit dem Orchester die Vielschichtigkeit der Oper, die der Komponist in der Uraufführung selbst leitete, präzis und klangprächtig heraus.
Stürmischer, langanhaltender Beifall für alle Beteiligten und den Komponisten, Bravos für Cornelia Zink und ihre herausragende Leistung.
Karin Coper