Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
1. Juli 2016
(Premiere am 17. Juni 2016)
Deutsche Oper Berlin
Bekanntlich ist Entführung aus dem Serail eine Oper, die heutzutage schwierig zu inszenieren ist. Einerseits wegen der emotionalen Aspekte, anderseits sind die politisch unkorrekten Komponenten kaum zu umgehen. Da hat es sich Regisseur und Bühnenbilder Rodrigo Garcia eigentlich leicht gemacht: konsequent findet alles im Heute statt, mit der heutigen Sichtweise auf das Konzept des Harems und was Belmonte und seine Freunde so verkörpern könnten.
Daher wird Belmonte ein Drogenmix-Erfinder, Pedrillo sein Gehilfe und Chemiker, Konstanze und Blonde die dazu passenden Girls. Selbstverständlich ist Treue ein Konzept, was es nicht mehr gibt. Während Belmonte seine eindringliche Arie über die Liebe intoniert, läuft im Hintergrund eine Grafik mit pochenden Herzorganen, die das Wort „Lüge“ buchstabieren. Sexualitäten werden angezogen und abgelegt wie alte Pantoffeln – mal ist man Hetero, mal Bi, mal Homo, wie es gerade in das Spiel passt. „Normaler“ Sex ist out – mindestens ein leidenschaftlicher Dreier oder besser noch eine Gruppenorgie sind angesagt. Dann ist auch verständlich, warum der Bassa eine lesbische Inhaberin eines Drogenlabors ist. Pedrillo überzeugt sie leicht, Belmonte einzustellen, als sie seinen Stoff testet. Und es wundert auch nicht, dass Konstanze, Blonde und Pedrillo erzählen, wie sie im Drogenrausch von einem UFO ins Harem der Bassa entführt werden. Konsequent bleibt Garcia bei seinem Konzept und so ist Belmontes Vater ein Oberdrogenboss, der der Bassa das Meth-Geschäft weggenommen hat und deswegen wäre es nachvollziehbar, dass sie jetzt an dem Sohn und Kohorten Rache nimmt. Ebenso, dass der Harem voller halb- oder vollnackter weiblicher Schönheiten ist, die sich während der berühmten Martern-aller-Arten-Arie der Konstanze räkeln und blaue Zuckerwatte schlecken. So gelangweilt ist davon die Rezensentin, dass sie kalkuliert, wieviel an Sonderzuschlägen für Nacktheit auf der Bühne die Statistinnen erhalten – es kommt eine schöne Summe zusammen.
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Sehr cool das Monstermobil – Pate stand hier das Batmobil – mit überdimensional großen Rädern und einem feuerroten Sportwagen darauf. Dieses Vehikel – ein Hummer ist ein Spielzeug dagegen – fährt dann auch gehörig auf der Bühne hin und her, wird als dramaturgisches Mittel eingesetzt. Leider wird nirgends erwähnt, von wem diese Konstruktion stammt. Für Hot-rod-Liebhaber wäre das sicherlich interessant. Kostümbilder Hussein Chalayan strengt sich nicht an, eine ansprechende Ästhetik in den Kostümen auszudrücken – selten gab es so viele Stoffversatzstücke, die wie vernähte, lappige Mönchskutten aussehen.
Die Dialoge sind upgedatet, manche ins Englische – dann ohne Übertitelübersetzung – damit mindestens diese aktuell und hip erscheinen. Aber auch die Zuschauer die des Englischen nicht mächtig sind, verstehen F**k und S**t, immerhin wird es oft genug wiederholt.
Wie in allen guten Schurkenkrimis, muss es auch eine Verfolgungsszene geben. So es auch hier, als Belmonte und Team zwar in dem Monstermobil entkommen, aber dann von Osmin und seinen Schergen eingeholt werden. James-Bond-ähnliche-Effekte lassen grüßen.
Doch wir wissen, es gibt ein Happy End. Die Bassa lässt das Quartett frei, das dann auch mit dem Monstermobil – John-Wayne-Westernfilmen ähnlich – in den Sonnenuntergang fahren. Die Bassa hat aber das letzte Wort und glaubt, Konstanze würde sich eines Besseren besinnen und zurückkommen, ebenso wie wahrscheinlich die anderen auch, „denn wo kann es schöner sein als hier“.
Besonders hervorzuheben sind die sängerischen Leistungen von Kathryn Lewek als Konstanze, die ihre Arien zum Teil in ihre Fitnessroutine integrieren muss, und Siobhan Stagg als Blonde – beide Damen glasklar und lyrisch in ihren Arien. Die männlichen Pendants Matthew Newlin als Belmonte und James Kryshak als Pedrillo erfüllen ihre Rollen musikalisch und schauspielerisch adäquat, jedoch ist man so mit der Regie beschäftigt, dass sich ihre Persönlichkeiten eher verlieren. Der Osmin von Tobias Kehrer als Labor-Aufpasser ist jugendlich und schlank gehalten. Er weiß, wie gut er es bei der Bassa hat, umgeben von sechs nackten Schönheiten, die ihn zu seinen besungenen Taten anspornen. Die Schauspielerin und Moderatorin Annabelle Mandeng gibt eine athletische, sinnliche, ja elegante Drogen-Bossin.
Das Orchester mit Nicholas Carter am Pult gibt dieser Comic-Inszenierung das gehörige Pendant, in dem es die unsterbliche Musik von Mozart mit Leichtigkeit wiedergibt.
Wie hätte Mozart selbst diese Inszenierung gefunden? Immerhin weiß man aus seinen Schriften, dass er selber sich oft sehr derb ausgedrückt hat. Entführung ist als „komisches Singspiel“ bezeichnet, und gerade das liefert Regisseur Rodrigo Garcia in dieser Karikatur des Stückes.
Das Publikum, auch in der vierten Vorstellung nach der Premiere, reagiert ungestüm auf der Bassas Rap-basierten Liebesbekenntnissen für Konstanze – laute Buhrufe bis hin zu „Aufhören“-Rufen sind an der Tagesordnung – oder sind sie von der Regie platziert? Am Ende dann doch sehr warmer Applaus für das musikalische Ensemble.
Zenaida des Aubris