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Vor einigen Jahren verlegte der Choreograf Vladimir Malakhov Prokofievs Cinderella in den Ballettsaal und ließ die Titelfigur vom großen Ruhm als Ballerina träumen. Ähnlich verfährt der Regisseur Damiano Michieletto in seiner Inszenierung von Jules Massenets Oper Cendrillon an der Komischen Oper Berlin. Auch er verzichtet darauf, das Aschenputtel-Märchen, wie man es aus dem Buch oder zahlreichen Filmen kennt, nachzuerzählen und versetzt es in die Welt des Tanzes.
Der von Paolo Fantin sehr nüchtern gestaltete Ballettsaal ist gleichzeitig auch Krankenzimmer. Denn Cendrillon liegt verletzt im Krankenhaus und kann deshalb beim Tanzwettbewerb um die Gunst des Prinzen nicht mitmachen. Den soll eine ihrer Stiefschwestern gewinnen, die von der überehrgeizigen Stiefmutter zu Höchstleistungen gedrillt werden. Die Fee in Gestalt einer alten Frau erscheint in Begleitung sechs weiterer Seniorinnen und zaubert mittels Glitzerstaub Cendrillons Gehstütze weg.
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Im Krankenbett, das zur Kutsche umfunktioniert und vom Klinikpersonal geschoben wird, fährt Cendrillon zum Ball. Der hat Casting-Charakter und gleicht dazu einer Travestieshow, bei der auch die Männer Tutus tragen. Der Prinz in Kapuzen-Sweatshirt hockt an der Seite, ein Außenseiter dieser Gesellschaft, der erst durch die Begegnung mit Cendrillon aus seiner Gefühlsstarre erweckt wird. Im dritten Akt finden die beiden zusammen.
Doch der Wunsch nach einer gemeinsamen Ballettkarriere erfüllt sich nur in ihrer Fantasie, die in einer Traumsequenz kulminiert. In diesem poetischsten Moment der Inszenierung fügen sich Seitenprospekte zu einem romantischen Wald zusammen, in dem ein wirkliches Solistenpaar stellvertretend für Cendrillon und den Prinzen einen von Sabine Franz in klassischer Tradition choreografierten Pas de Deux tanzt. Und auch der Stiefmutter bleibt nur der Traum: das Finale zeigt sie inmitten des Corps de ballet mit Spitzenschuhen im Arm.
Anders als Rossinis quirlige Cenerentola, dieitalienische Buffo-Schwester von Cendrillon, gehört das 1899 in Paris uraufgeführte französische Pendant von Jules Massenet, dem trotz der stilistischen Vielfalt seiner Werke hierzulande gerne unterschätzten Komponisten, nicht zum gängigen Repertoire deutscher Bühnen. Zu Unrecht, wie die musikalische Realisierung an der Komischen Oper beweist. Henrik Nánási bringt Massenets exquisite Klangwelt, die melodische Eleganz und orchestrales Raffinement mit Anleihen an die Musik des 18. Jahrhunderts verbindet, mit dem Orchester der Komischen Oper, teils kräftig zupackend, teils luftig zart, zum Leuchten.
Cendrillon wird an der Komischen Oper auch zum Stimmfest, zu dem der bestens disponierte Chor beiträgt. Nadja Mchantaf, ab nächster Spielzeit fest im Ensemble, macht sich mit nuanciertem Gesang und feinfühliger Darstellung die Titelpartie zu eigen und vollführt sogar ein paar Schritte auf Spitze. Karolina Gumos in der Hosenrolle des Prinzen vermittelt durch vokale Emphase, welch starke Emotionen hinter der introvertierten Schale stecken. Imposant setzt sich Agnes Zwierko als dominante Stiefmutter in Szene, während Werner van Mechelen für die Schwäche von Cendrillons Vater subtile und bewegende Töne findet. Als greise Fee besticht Mari Erksmoen mit kristallinen Koloraturen und schwebenden Höhen.
Ovationen im vermutlich wegen der Fußball-Europameisterschaft nicht ganz gefüllten Saal für alle Mitwirkenden.
Karin Coper