Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas M. Jauk

Aktuelle Aufführungen

Im Garten der Gefühle

AMOR VIEN DAL DESTINO
(Agostino Steffani)

Besuch am
23. April 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Berlin

Einmal im Jahr schlagen die Herzen der Berliner Barockopernfreunde besonders hoch. Dann präsentiert die Staatsoper die neueste Entdeckung von Schatzgräber René Jacobs und statt der Staatskapelle sitzt die Akademie für Alte Musik Berlin im Orchestergraben. Seine Forschungslust ist ungebrochen, wie die Rarität der aktuellen Spielzeit beweist. Amor vien dal destino von Agostino Steffani ist erstmals seit der Uraufführung 1709 wieder zu hören.

Steffani, der von 1653 bis 1717 lebte, ist spätestens seit 2012 wieder ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gerückt. Damals nämlich nahm sich Cecilia Bartoli auf der CD Mission, einem ihrer spektakulären Arienalben, des Komponisten an, und zeitgleich erschien ein Krimi von Donna Leon mit Bezug auf dessen Leben. Mittlerweile zieht auch die Plattenindustrie nach, 2015 sogar mit einer doppelten Aufnahme der Tragödie Niobe. Wobei nicht vergessen sein sollte, dass 25 Jahre früher das Opernhaus Hannover Vorreiter in Sachen Steffani war, als es zu seiner Dreihundertjahrfeier dessen Enrico Leone auf den Spielplan setzte, inszeniert von Herbert Wernicke.

Amor vien dal destino spielt nach dem Fall von Troja und handelt von Liebesverwirrungen am Hofe des Königs Latino. Ausgangspunkt ist ein Streit der olympischen Götter über das weitere Schicksal des rastlos umherirrenden Helden Äneas. Auf Geheiß von Jupiter darf er im mittelitalienischen Latium stranden, wo er der Königstochter Lavinia begegnet, die kurz vor ihrer aus Staatsgründen arrangierten Hochzeit steht. Ein Liebesdrama zwischen den beiden entwickelt sich, in das Lavinias Verlobter und ihre Schwester miteinbezogen werden. Nach Missverständnissen, Zerwürfnissen und emotionalen Ausnahmezuständen finden letztendlich die füreinander bestimmten zwei Paare zusammen, die Götter sind zufrieden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ingo Kerkhof inszeniert ein fein austariertes Spiel um Liebesglück und -leid als Theater im Theater. Dementsprechend wird der von Dirk Becker geschmackvoll gestaltete Raum im Hintergrund und an den Seiten von einem prächtigen gemalten Vorhang begrenzt. Die feine Göttergesellschaft, für die Stephan von Wedel erlesene weiße Kostüme und Puderperücken entworfen hat, wird als Strippenzieher und Beobachter des Geschehens gezeigt. Auf der Erde übernimmt Amor in Gestalt eines Gärtners und vom Schauspieler Konstantin Bühler agil verkörpert, die Regie. Er pflanzt nach und nach Ähren in den Bühnenboden bis sie ein dichtes Kornfeld bilden. Im zweiten Teil ist es so hoch gewachsen, dass sich die Akteure aus dem Dickicht hervorkämpfen müssen, dass so verwirrend ist, wie ihre Gefühle. Die Beziehungen der Figuren untereinander und ihre Seelenregungen lotet Kerkhof differenziert und subtil aus. Drastisches Agieren ist allein den beiden komischen Personen, der Zofe Nicea – eine Travestierolle – und dem Diener Corebo vorbehalten.

Foto © Thomas M. Jauk

Die Aufführung dauert trotz kräftiger Striche fast vier Stunden. Langweilig aber wird sie nie. Jacobs führt vor, wie sich fundiertes Wissen um die historische Aufführungspraxis und lebendiges Musizieren aufs Schönste miteinander verbinden. Zusammen mit seinen famosen Instrumentalisten zaubert er ein Optimum an Klangfarben, an Affekten und Kontrasten aus Steffanis abwechslungsreicher Partitur heraus.

Kein Wunder, dass die Sänger, solchermaßen inspiriert, ihr Bestes geben und in ihren Rollen aufgehen. Katarina Bradić verzehrt sich mit pastosem, zunächst etwas verhaltenem Alt in den vorwiegend getragenen Liebesklagen der Lavinia. Ihre Schwester Giuturna dagegen durchmisst ihre Emotionen mit halsbrecherischen Verzierungen, die Robin Johannsen, die zudem noch die Juno gibt, ohne Anstrengung leicht und locker nimmt. Rupert Enticknap leiht dem Jupiter einen biegsamen Countertenor, Marcos Fink dem König einen noblen Bassbariton. Ein köstliches, vokal auftrumpfendes Buffo-Paar bilden Mark Milhofer und Gyula Orendt. Erstklassiges leistet Jeremy Ovenden als Äneas. Sein Tenor besitzt sowohl Brillanz und Furor für expressive Koloraturen, aber genauso den klanglichen Reichtum für schwärmerische Gefühle. Die Entdeckung dieser Produktion aber ist Olivia Vermeulen in der Hosenrolle des Turno. Ihr edel timbrierter Mezzosopran hält eine Fülle von Farben für die ständig wechselnden Emotionen bereit, und wenn sie herzbewegend und mit unendlichem Atem seine Todessehnsucht besingt, scheint die Zeit stillzustehen.    

Am Ende des langen Abends werden alle Mitwirkenden stürmisch gefeiert. Barock- und René-Jacobs-Fans können sich schon auf die nächste Spielzeit freuen, in der Henry Purcells King Arthur angekündigt ist.

Karin Coper