Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
AIDA
(Giuseppe Verdi)
Besuch am
22. November 2015
(Premiere)
Deutsche Oper Berlin
Es geht um Liebe, um die mögliche, erlebbare und um die ersehnte, eingebildete reine Liebe in dem Dreiecksverhältnis von Radames, Aida und Amneris. Soviel gab Benedikt von Peter, der Regisseur der mit Spannung erwarteten Premiere an der Deutschen Oper in Berlin im Vorfeld preis. Es ist die dritte Inszenierung einer Verdi-Oper des jungen, vielbeachteten Regisseurs. Mit I Masnadieri in Bremen und La Traviata in Hannover, aber auch mit seiner kürzlich präsentierten Neuinszenierung vom Mädchen mit den Schwefelhölzern in Frankfurt hat er seinen Ruf für neue Sichtweisen auf Auslegungen oder Deutungen von Personen und Handlungen mit ausgeprägter Orientierung an der musikalischen Gestaltung der Werke begründet.
In der Ankündigung war schon zu lesen, dass erst kurz vor Beginn Einlass gewährt wird und Teile des Chores und Orchester im Zuschauerraum anwesend sein werden. Nun endlich darf man rein und saugt gleich neugierig die ersten Eindrücke auf. Da sitzt Radames auf der Bühne zusammengekauert mit einem weißen Kleid im Arm. Der Orchestergraben ist zugedeckt, so dass er ganz nah an den Publikumsreihen sitzt. Eine schmale Schräge reicht in die ersten Reihen hinein. Eine große Leinwand hängt über einem Tisch und zeigt die Direktübertragung dessen, was auf ihm passiert. Neben einer leeren Tasse liegen da eine alte Landkarte vom Niltal und ein paar Bücher über Ägypten. Soweit wirkt alles wie ein bürgerliches Stillleben mit Fragezeichen. Radames bewegt sich auf den Tisch zu, blättert, zieht eine historische Postkarte mit verträumter Landschaft am Nil mit Pyramiden heraus und vertieft sich in den Anblick, die melancholische Ouvertüre beginnt. Der Vorhang öffnet sich, und das Orchester sitzt auf der Bühne, hinter einem transparenten lichttrennenden Vorhang. Vom Rang, in den Zuschauerraum plaziert, setzt Ramfis markig erhaben ein. Das ganze Haus wird zur Bühne. Ein beliebtes Konzept von Peters. Amneris im blauen Kleid kommt mit Tablett herein und räumt im Haus auf. Die vertraute häusliche, reale Welt von Radames und Amneris als Paar wird erkennbar. Der lustlose Alltag einer ausgelebten Liebe, eine reale Partnerschaft, in der die Frau die starke Hand führt und der Mann in eine Scheinwelt flieht. Radames wirkt der Welt entrückt, träumend, ja weltfremd und Menschen wie Berührungen ausweichend. Nur an dem weißen Kleid klammert er sich, seine Traumwelt und entrückte wahre Liebe namens Aida symbolisierend. Das Phantom tritt auf, bleibt aber entrückt, und die beiden finden nicht zusammen.
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Ägypten, Pyramiden, Tempel, Paläste, Soldaten, Priester, Helden, Massenszenen, Triumphmärsche, gar mit Kamelen oder Elefanten, alles hat man schon in der beliebtesten aller Opern erlebt, aber nichts von dem an diesem Abend. Alles bleibt bei spärlichstem Bühnendesign von Kathrin Wittig und drei Protagonisten. Ein Mann zwischen zwei Frauen im biederen Gesellschaftsleben. Radames zeigt sich zum berühmten Triumphmarsch im Gegenteil als Pazifist und klagt mit Kriegs- und Flüchtlingsbildern den Irrsinn des Krieges an, während der im ganzen Zuschauerraum verteilte stehende Chor – furchteinflößend – dem Kampf huldigt. Der Zuschauer wird mitgerissen, wird ungewollt Partei, Teil des Spektakels, und es gelingt Benedikt von Peter auch, ihn nicht mehr zu verlieren. Keine Lichtpausen oder Bühnenumbauten stören den Handlungsablauf. Äußerlichkeiten spielen keine Rolle, das Innere wird herausgekehrt. Amneris kämpft gegen das Phantom, das ihrer Liebe und der Zweisamkeit im Weg steht. Sie streicht Butterbrote, reizt mit Leckereien wie einer Lyoner Knacker, verzweifelt an der Entfremdung, der Flucht von Radames weg von ihr. Den zieht es zu Aida, jenem mildtätigen, aufrichtig liebenden Geschöpf, das vom Vater gesteuert und von Pflicht und Liebe aufgezehrt wird. Radames trägt seine Phantomliebe rührend zu Grabe, Amneris nimmt sich das Leben, beide Ebenen erleben kein Happy End. Verblüffend ist, wie sich diese Interpretation ohne größere Reibungen in die bestens bekannte Partitur von Guiseppe Verdi einfügt.
Mit 28 Jahren verfügt Andrea Battistoni viel Gespür und Selbstvertrauen in seinem Dirigat und meistert die große Herausforderung, seine im ganzen Haus verteilten Mitwirkenden nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei hat er sich ein flottes Tempo ausgesucht, großes Orchester und noch größeren Chor. Weit ausgebreitet hat er seine Arme, die er wie Flügel über dem Orchester schlagen lässt, sodass auch alle Einsätze richtig kommen und gesehen werden. Die Bläser lassen ihn auch nicht im Stich an diesem Abend und die Streicher fiedeln lebhaft aufmerksam in seinen Schlägen Schutz suchend. Das Hörerlebnis ist neuartig, der Orchesterklang verbindet sich direkt und geschmeidig mit dem Gesang. Der von William Spaulding bestens vorbereitete Chor untermauert die musikalische Qualität.
Alfred Kim ist ein trockener Radames ohne Schmelz oder heldenhaften Pathos. Seine Stimme hat Volumen und bringt mit Druck die Höhen. Tatjana Serjan ist eine dramatische Phantomliebe mit wenig Entrücktem. Ihre Aida ist von dieser Welt. Dunkel gefärbt wirkt ihr Sopran gespannt mit Druck in die Höhe geleitet, bleibt in den Spitzentönen aber rund und klar. Kampfeslustig umwirbt sie den Liebe suchenden Radames und ähnelt dabei ihrer Gegenspielerin Anna Smirnova als Amneris. Deren Mezzo meistert die Anforderungen ohne erkennbare Anstrengungen. Sie packt Gefühl, eine Portion natürlichen Anspruch und Selbstbewusstsein in ihre Stimme und mischt lyrischen Pathos bei, als sie die Schlacht verloren sieht. Ergänzt wird das suchende Liebes-Trio von Anis Jerkunica als sonorem König und ebenso kraftvoll majestätisch von Simon Lim als Ramfis. Markus Brück als Amonasro fehlt die Intimität der Nil-Szene, seine Werbung um die Gunst seiner Tochter wirkt despotisch und wenig ariös.
Die Spannung im Zuschauerraum ist fühlbar. Ruhig, ohne Huster verfolgt das elegante Premierenpublikum das Psychodrama, um sich am Ende in einem heftigen Kampf zwischen Bravo und Buh zu entladen. Der Zuspruch hält die Ablehnung zurecht in Schach. Das ist eine intelligente, schlüssige und konsequente neue Darstellung dieser oft gehörten und gesehenen Oper, auch wenn sie exotisch verfremdet wirkt, was nicht am gewählten Schauplatz der Handlung liegt.
Helmut Pitsch