Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Antoni Bofill

Aktuelle Aufführungen

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

OTELLO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
5. Februar 2016
(Premiere am 21. Januar 2016)

 

 

Gran Teatre de Liceu Barcelona

In die Enge des mittelalterlichen Stadtzentrums von Barcelona wurde 1847 das traditionsreiche Gran Teatre Liceu von außen unscheinbar in die Häuserzeilen gebaut. Innen erschließt sich dem Besucher das prächtige Stiegenhaus, Foyer und der massige Zuschauerraum eines der größten Opernhäuser Europas. Nach zwei Bränden ist immer noch der Originalplan und -bau erkennbar. Die Lage am Meer und die Schifffahrt haben die Bürger der Stadt reich gemacht.  Die Seefahrt bestimmt auch das Geschehen von Giuseppe Verdis Spätwerk Otello und der Interpretation von Andreas Kriegenburg. Eindrucksvoll wirkt das Bühnenbild von Harald Thor, sobald sich der Vorhang öffnet. Bis an den Deckenrand reicht das Metallgerüst, das jede Menge kleiner Kojen umfasst, jede mit Fernseher und Vorhang ausgestattet. Drinnen sitzen oder liegen die Chormitglieder zusammengepfercht. Durch die aktuelle Flüchtlingskrise bekommt dieses Bild eine hohe Aktualität, aber wo ist der Bezug zum Werk?

Die Premiere der Inszenierung war bereits im Mai 2010. Befinden wir uns in einem Schiffsbauch auf der Überfahrt, oder ist es eine Anspielung auf ein modernes Konzentrationslager? Die Kostümbildnerin Andrea Schraad hilft auch nicht sehr in der Lokalisierung des Geschehens. Die Helden der Geschichte erscheinen in langen grauen Uniformmänteln, darunter tragen sie Alltagskleidung und Springerstiefel. Desdemona schlendert im formlosen, blauen Alltagskleid herum. 

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Vor der Bettenfront stehen ein paar elegante Ledersessel und ein Schreibtisch, an dem der Held ab und an seine Aufgaben wahrnimmt. Das Schlafzimmer wird lieb- und lustlos aus der Höhe der Bühne heruntergelassen. In diesem Ambiente gelingt es den Sängern schwer, eine Stimmung und insbesondere eine Spannung zu erzeugen. Der Einspringer Marc Heller kämpft bereits stimmlich mit den Anforderungen der Rolle und darstellerisch wirkt er holprig unbeholfen auf der Bühne. Seine Stimme sitzt tief in der Kehle, und nur mit erkennbaren Anstrengungen schraubt er sich in die Höhe, die er aber sicher trifft. Es wirkt gepresst und nimmt so die Wärme und Emotion. Dazu gesellt sich Ivan Inverardi als Jago, der Otello körperlich bei weitem überragt. So hat er viel Präsenz, die er aber nur mit kleiner Stimme ausfüllt. Alexey Dolgov passt stimmlich und äußerlich gut in die Rolle des Cassio. Es gelingt der jungen Maria Katzarava, rührende Momente als verzweifelte und liebende Desdemona zu bewirken. Aber in ihrer Stimme ist Dramatik Ausdrucksmittel. Kraftvoll erreicht sie alle Höhen, und in der dunklen Färbung wirkt sie bedrohlich mit wenig Anmut. 

Foto © Antoni Bofill

Die tragische Schlussszene ist bizarr gestaltet. Otello zerreißt das verhängnisvolle Taschentuch in kleine Streifen, mit denen er Desdemona an die Säule des Bettbaldachins fesselt. So muss die arme erdrosselte Desdemona im Sitzen sterben. Die Aufklärung der Verbrechen erfolgt im statischen Aufreihen von Jago, Cassio und Ludovico. Otello erschießt sich mit seinem Revolver, aber vorsorglich mit dem Kopfpolster als Dämpfer, die Zeugen richten ihre Köpfe zur Wand, wie Eckenstehen als Strafe in der Schule.

Philippe Auguin gelingt es, musikalisch den Ausgleich zu finden. Er unterstützt aufmerksam die Sänger und gibt ihnen Raum und Zeit, wenn nötig. Das Orchester zeigt aber ein gefühlvolles und romantisches Zusammenspiel in seinem Werkverständnis und spielt sicher und fehlerfrei.

Das Publikum spendet viel Applaus, lässt aber an ein paar gesetzten Buhs die Kritik erkennen.

Helmut Pitsch