|
Wenn der Atem für einen Moment wegbleibt
In diesen Tagen machen sich wohl die wenigsten Menschen Gedanken über entvölkerte Städte und verlassene Gegenden. Ganz anders Alexandra Waierstall und Volker Bertelmann. Die beschäftigt das Thema so sehr, dass sie es zum Gegenstand einer Choreografie machen. Im Rahmen des Düsseldorf-Festivals kommt diese jetzt im Tanzhaus NRW unter dem englischen Titel A City Seeking Its Bodies zur Uraufführung. Was wohl so viel bedeutet wie eine Stadt, die nach ihren Körpern sucht. Und das Thema darf man – spätestens nach diesem Abend – durchaus vielschichtig interpretieren.
Horst Waierstall hat eine Bühne eingerichtet, auf der für alles viel Platz ist. Die Seitenbühnen sind geöffnet, und so finden auf der linken Seite Flügel und Schlagzeug Platz, auf der rechten Seitenbühne sind fünf Streicher und zwei Klarinettisten platziert. Die weiße Rückwand bietet ausreichend Fläche für die Projektionen von Marianna Christofides, die Hauptbühne bleibt frei für zwei Tänzerinnen und vier Tänzer. Die Kostüme, ebenfalls aus dem Hause Waierstall, bieten den Tänzern viel Bewegungsfreiheit und für das Publikum im späteren Verlauf eine Überraschung. Vorerst beeindrucken sie durch ihre impertinente Farblosigkeit. Die wird über weite Strecken von Ansgar Kluge mit Dunkelheit oder Halbdunkel statt mit Licht getüncht. Es muss ja nicht immer gleich das Putzlicht sein.
Während sich die Menschen vulgo Tänzer wellenförmig aus den Städten entfernen, zeigen die Projektionen verlassene Städte, Einöden, aber auch Wüsten. Plötzlich setzen Fluchten ein – eine der „handwerklich“ stärkeren Stellen – in denen es unvermittelt Pausen, vielleicht der Verzweiflung, der Rat- oder Hilflosigkeit, gibt. Später bilden sich Zellhaufen, hier werden sich in den Folgevorstellungen sicher geschmeidigere Abläufe einstellen, die in einem Höhepunkt à la Waierstall kumulieren. Gellendes Schweigen erfüllt den Raum, als Dani Brown sich enthäutet. Danach ist nichts mehr, wie es war. Und dass schließlich ein Tänzer ein Mikrofon über einem Ventilator schwingen lässt, während ein gelbes Licht über die Anordnung fällt, unterstreicht die Endzeitstimmung des düsteren 50-minütigen Gemäldes.
Volker Bertelmann ist ein in Düsseldorf lebender Komponist und Pianist, der vielen besser unter dem Pseudonym Hauschka bekannt ist. Er hat für den Abend einen luxuriösen Klangteppich ausgebreitet. Und damit eine Annäherung von zeitgenössischem Tanz und Musik geschaffen, die man nicht jeden Tag erlebt. Nicht, dass sich der Tanz bei dieser ersten Zusammenarbeit von Waierstall und Bertelmann gleich der Rhythmik der Musik unterwürfe, weil auch oft einfach die Möglichkeit der Neuen Musik dazu fehlt, entsteht doch ein stimmiges – und dramaturgisch wirkungsvolles – Klang-Raum-Erlebnis. Eindrucksvoll ist jedenfalls, das, was man sonst eher als „sphärische Klänge“ vom Band erlebt, live zu sehen.
Waierstall und Bertelmann haben mit ihren Teams ein eindrucksvolles Erlebnis gestaltet, in dem die Zeit verfliegt. Da wünscht man sich gern eine Wiederholung, findet auch das Publikum im nahezu vollständig gefüllten Saal und applaudiert mehr als fünf Minuten. Im Hinausgehen bleibt der Gedanke hängen, dass es vielleicht gar nicht immer so sehr hyperästhetisierende Themen sein müssen. Möglicherweise könnte eine Choreografin vom Range einer Alexandra Waierstall mit „handfesteren“ Themen noch sehr viel wirkungsvoller arbeiten. Aber das ist ja nur so ein Gedanke.
Michael S. Zerban
|
|