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Gelungener Auftakt
Die frühen Sommerferien in NRW bescheren einen frühen Auftakt in die Saison in der Westfalen-Metropole Münster. Er beginnt mit guten Nachrichten: Ulrich Peters verlängert seinen Vertrag als Intendant bis 2022. Als wolle er das noch unterstreichen – nämlich dass er nicht nur ein guter Intendant ist – führt er bei der ersten Premiere der Saison selbst Regie. Erfolgreich.
Auf den ersten Blick ist seine Sicht auf Hoffmanns Erzählungen nichts Besonderes, sie wirkt beinahe alltäglich. Wie die Burschenschaften in Luthers Weinkneipe Platz nehmen und die Becher schwingen, das könnte so in Münster jeden Abend stattfinden. Die Muse im schönen roten Kleid entspringt beinahe dem Cabaret – ebenso auch der Stadtrat Lindorf – eine optische Mischung aus Graf Zahl und Jacques Offenbach. Das Fantastische von Offenbachs Oper blitzt anfangs immer wieder nur wie die kleinen roten Augen in den Bilderrahmen kurz auf. Doch wenn der Poet Hoffmann seine drei Liebesabenteuer erzählt, muss der Zuschauer mit einer Projektion an der Rückwand immer wieder daran erinnert werden, dass hier eine Geschichte in der Kneipe erzählt wird.
Wie sich der kleine Raum in den Dampfschwaden des servierten Punsches zur großen Bühne weitet, ist ein kleines Meisterwerk von Bernd Franke. Robust scheinen die kommenden Räume mit ihren Mauern zu sein, doch immer wieder finden sich kleine oder größere Öffnungen darin – und sei es nur, damit mit den Projektionen dahinter jede Normalität ausgetrieben wird. So opulent hat es in Münster schon lange keine Oper mehr gegeben. Denn auch die Kostüme von Götz Lancelot Fischer bedienen vom schäbigen Anzug über die klassische Robe bis zum futuristischen Star-Trek-Look alles.
Vielleicht hätte Peters Personenführung noch eine Spur pointierter ausfallen können, aber ihm gelingen gerade im Olympia- und Antonia-Akt sehr atmosphärische Szenen. Wie sich aus der Sicht Hoffmanns Erlebtes und Gefühltes mischen, wird richtig stark herausgearbeitet. Dazu passend ist Titelfigur mit Adrian Xhema besetzt. Er ist darstellerisch vielleicht etwas zu statisch, aber eine zu wahnsinnige Figur wäre in dieser Sicht nicht passend gewesen. Mit dem Hoffman ersingt sich Xhema eine weitere Tenortrophäe in seiner Zeit am Theater Münster, wo er bislang nie enttäuscht hat und so auch dieses Mal nicht. Der Muse, die ihren Dichter zu seinem Schmerz führen möchte, gibt Lisa Wedekind starkes Profil. Sie bedient sich dafür der vier diabolischen Gestalten, die von – ja, von wem auch sonst? – Gregor Dalal verkörpert werden. Seine Stimme steigt wie der Teufel aus der Tiefe seines Resonanzkörpers empor, und er hinterlässt darstellerisch und auch vokal einen sehr guten Eindruck. Der großartige Boris Leisenheimer ist der Mann fürs skurrile Element. Von Hoffmanns drei Geliebten kann sich eigentlich nur die sich von Takt zu Takt nach oben schraubende Antje Bitterlich als Olympia wirklich durchsetzen. Bei der alle Töne beherrschenden, aber sehr nasal singenden Netta Or als Antonia will der Funke nicht überspringen. Das gleiche gilt auch für Sara Rossi Daldoss, die die Giulietta entgegen der Erwartungen recht leidenschaftslos abliefert.
Immer wieder gerne hört man Youn-Seong Shim, der hier gleich in drei Rollen eingesetzt wird und Plamen Hidjov als Luther und Crespel. Voller Einsatz kommt von Kiyotaka Mizuno: Der Bariton im Opernchor springt ganz spontan für den erkrankten Frank Göbel ein und hat einen halben Tag Zeit, die vielen Stichworte von Herrmann, Wilhelm und Schlémil zu lernen. Keine leichte Aufgabe. Opern- und Extrachor des Theaters Münster, wie immer einstudiert von Inna Batyuk, brennen nach der Spielzeitpause auf ihren Einsatz.
Ein Extralob muss den Herren für ihren ausgelassen Studentenchor im Prolog ausgesprochen werden. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Stefan Veselka mal richtig Gas gibt. Ansonsten – und das ist das Schöne an dieser Interpretation – lässt er der Musik von Offenbach Zeit, sich zu entwickeln. Das Sinfonieorchester muss nicht durch die Partitur rasen, sondern darf zeigen, wie schön atmosphärisch es spielen kann. Da schweben die Instrumentengruppen im Antonia-Akt wie feine Nebelschwaden ineinander. Die Forte-Ausbrüche bekommen ihre Wirkung dadurch, dass sie sehr dezent eingesetzt werden – aber dann auch mit Nachdruck.
Das hat vielleicht den Nachteil, dass der Abend mit drei Stunden für einen normalen Werktag recht lang ist, und die einzige Pause ist erst nach zwei Stunden Vorstellung. Das merkt man um halb elf einem etwas müde gewordenen Publikum auch an. Der Schlussapplaus wird gefühlt schon vom Schlafzimmer aus gegeben, ist aber durchsetzt mit sehr kräftigen Bravorufen. Dass die Vorstellung aber sehr gut angenommen wird, entnimmt man dem häufigen Zwischenbeifall. So kann und darf es gerne weiter gehen am Theater Münster.
Christoph Broermann
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