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Kino

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Bis heute gilt Florence Foster Jenkins als Unikum der Operngeschichte, weil sie mit ihrem quälenden „Gesang“ über Jahrzehnte erfolgreich war. In seinem neuen Film Florence Foster Jenkins Story versucht Ralf Pleger, Autor und Regisseur von Wagnerwahn, ihrem Geheimnis auf den Grund zu kommen.
Gregor Benko enthüllt Details - Foto © Christoph Valentien

Unerbittlich verbot ihr Vater ihr schon als Kind das Singen, und er wusste, warum. Nach seinem Tod erlaubte ihr die Mutter Gesangsunterricht, nachdem sie das Versprechen abgelegt hatte, niemals in der Öffentlichkeit zu singen. Daran hielt sie sich nicht, und so wurde aus ihr eine der berühmtesten Sängerinnen der Operngeschichte. Oder soll man sagen: Eine der berüchtigtsten Sängerinnen der Operngeschichte? Florence Foster Jenkins gilt jedenfalls bis heute als die schlechteste aller Opernsängerinnen, die je auf einer Bühne gestanden haben. Als „der größte Massenwitz, den New York je sah“, wie die Kritiker es nach ihrem Konzert in der Carnegie Hall in New York formulierten.

Eine der Besonderheiten der weltberühmten Konzerthalle ist, dass sie so gut wie nie ausverkauft ist. Am 25. Oktober 1944 war sie es. Bereits Wochen vorher hatten sich die New Yorker die Karten gesichert, denn Foster Jenkins trat auf. Da war sie 76 Jahre alt, von der Syphilis gezeichnet. War es wirklich nur der schräge Kick, den die Besucher sich erhofften? Oder steckte mehr hinter der Geschichte?

Am 10. November kommt die Florence Foster Jenkins Story von Ralf Pleger in die Kinos. Um es direkt zu verraten: Es wird die Biografie des Jahres 2016. Und dann der Reihe nach. Immer noch ist die Diskussion virulent, wie eine Biografie der darzustellenden Person am ehesten gerecht wird. Pleger setzt hier mit großem Aufwand neue Maßstäbe. Wer kann die schlechteste Sängerin der Welt am ehesten darstellen? Der Regisseur sagt: Eine der besten, die unsere Gegenwart kennt. Und verpflichtet Joyce DiDonato. Er mischt sie unter eine Handvoll Experten, unterlegt das Ganze mit Bildern des heutigen New York und findet eine Story, die – wie das Theaterstück – von dem Interview mit dem jungen Journalisten William Key ausgeht.

Ein Erfolgsrezept. Musikwissenschaftler Key besucht Foster Jenkins am Vorabend ihres Carnegie-Hall-Konzerts. Er trifft auf die gealterte Sängerin – das muss man sich vorstellen, denn DiDonato präsentiert sich prätentiös – deren Kopfbedeckung allein schon einen Film wert ist. Während sie von ihrer eindrucksvollen Karriere berichtet, hat Key die schrägen, musikalisch verbotenen Auftritte vor Augen, zu denen Kritiker keinen Zugang hatten. Trotzdem hört er sich ihre Geschichte respektvoll an, immer das Leitmotiv des Treppenhauses mit seiner abwärtssteigenden Spirale vor seinem geistigen Auge. Er ist es auch, der die Geschichte der Sängerin mit der prächtigen, leicht sentimental angehauchten Stimme von Peter Gilbert Cotton aus dem Off zu Ende erzählt. Von Experten erfährt der Zuschauer die andere Sichtweise der Experten. Großartig ist hier vor allem Gregor Benko, der Historiker, der mit viel Süffisanz seine Erkenntnisse ausplaudert.

Pleger lässt kaum etwas aus, das zum Erhellen einer so schwer zu erfassenden Persönlichkeit wie der Foster Jenkins dienlich sein kann. Einmal war sie verheiratet. Der Arzt Frank Jenkins brachte ihr die Syphilis bei, unter der sie zeitlebens zu leiden hatte. Immer wieder stellt Pleger den wunderbaren Gesang DiDonatos den kläglichen Versuchen Foster Jenkins‘ gegenüber, lässt in glücklicherweise wenigen Fällen auch die Stimme der Foster Jenkins mal alleine ertönen. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1941, in der so etwas wie Mein Herr Marquis zu erahnen ist, zeigt das ganze Dilemma ihres Gesangs. „Mich fasziniert etwas an ihr, das jenseits komischer Operntöne liegt“, bringt der Musikwissenschaftler Kevin Clarke die Diskrepanz zwischen den falschen Klängen und der Faszination dieser Person auf den Punkt. Ihre Kostüme und tableaux vivants waren Stadtgespräch. Sechs dieser Arien-Szenarien zeigt auch Pleger. Bunt, immer pompös und immer in Begleitung ihrer Neider und Gönner.

Ob es Pleger tatsächlich gelungen ist, einem Phänomen seine letzten Geheimnisse zu entlocken, mag dahingestellt sein. Aber er ist auf jeden Fall einer Florence Foster Jenkins ziemlich nah gekommen, die in Europa niemals eine Chance bekam, aber den amerikanischen Traum in New York mit Hartnäckigkeit auslebte, in der Carnegie Hall vor ausverkauftem Haus auftrat, um anschließend an den Kritiken zu zerbrechen. Fünf Wochen nach dem Auftritt starb sie mit 76 Jahren. Der untere Podest im Treppenhaus war erreicht.

Der Film, ungewöhnlich kurzweilig, mag auch Opernliebhaber in die Kinos locken, die sich an einer Kuriosität ergötzen wollen. Viel mehr spricht er aber noch Menschen an, die in den Schmelztiegel New York verliebt sind.

Michael S. Zerban