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DVD

Opulente Rekonstruktion

In der Elegance-Reihe von Arthaus Musik erscheinen bedeutende, abendfüllende Ballette. Zweifellos hinzu zählt Petipas Raymonda am Theatro alla Scala von 2011. Uraufgeführt 1898 hat das Ballett über die Jahrzehnte unzählige Anpassungen und Abwandlungen erfahren, da das Original nur lückenhaft erhalten blieb. Sergej Vikharev, der sich bereits einen Namen als Rekonstruktions-Fachmann für Petipa-Ballette erarbeitet hat, forschte für diese Inszenierung in den Archiven und verhilft so der Raymonda zu einer Version, wie sie 1898 ausgesehen haben könnte.

Die Handlung des Dreiakters ist im Verhältnis zu dessen Spieldauer etwas dünn und daher schnell erzählt: Ungarn zur Zeit der Kreuzzüge. Raymonda feiert ihren Geburtstag auf dem Schloss der Gräfin Sybille, ihrer Tante. Jean de Brienne, ein Ritter, ist Raymondas Verlobter und verlässt die Feier, da er in den Krieg zieht. Im Traum begegnet Raymonda Abderahman, einem Sarazenen, der zudringlich ist und sie heiraten will. Sie weigert sich jedoch standhaft, was bei einer weiteren Festivität dazu führt, dass Abderahman Raymonda entführen will. Doch ihr Verlobter kehrt just aus dem Krieg zurück, um sie aus den Armen des Sarazenen zu befreien. Der letzte Akt des Balletts stellt die Hochzeit des Paares dar. Das Ballett ist von unzähligen Divertissimenten, Ensembleszenen und Pantomimen durchsetzt, was sich in der Gesamtspieldauer niederschlägt.

In der Rekonstruktion von Vikharev ist eine unfassbar große Anzahl an Darstellern auf der Bühne versammelt. Die Kostüme, im Original von Ivan Vsevolozskij, werden von Irene Monti ebenfalls rekonstruiert und wären für sich genommen eine Ausstellung wert: Bunte Stoffe, die in unzähligen Lagen und kreativen Schnitten manchmal den Eindruck vermitteln, die Tänzer werden hiervon in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Diverse Kopfbedeckungen, Hauben und Hütchen runden die Kostüme zusätzlich ab. Es bedarf daher der vielen Defilees in diesem Ballett, damit die aufwändigen Kostüme zur Geltung kommen.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Kamera
Ton
Chat-Faktor

Davon weniger betroffen sind die hochkarätigen Protagonisten des Balletts, die als Gäste für diese Inszenierung an die Scala gekommen sind. Raymonda wird von der Mariinsky-Solistin Olesia Novikova mädchenhaft fragil verkörpert. Der international verpflichtete deutsche Solist Fridemann Vogel ist hier als Jean de Brienne zu erleben. Mick Zeni spielt den düsteren Abderahman.

Das Corps de Ballet des Theatro alla Scala wird unterstützt von Studierenden der Ballettabteilung der Accademia Theatro alla Scala. Das Orchester unter der Leitung von Michail Jurowski spielt glänzend die Ballettmusik von Aleksandr Glazunov.

Unter der DVD-Produktionsregie von Lorena Sardi können die ersten beiden Akte gut bestehen. Zwar entgleitet die Kamera an wenigen Stellen, um die schlanken Beine der Solistin zu fokussieren. Sonst gelingt jedoch eine ausgewogene Mischung zwischen zentralperspektivischen Einstellungen und näheren Einsichten. Teilweise sind sogar Vogelperspektiven zu erleben, und auch das Orchester samt Dirigent wird in tanzfreien Sequenzen gezeigt. Leider kann die Regie im dritten Akt des Balletts der Versuchung nicht widerstehen, eigene künstlerische Abdrücke zu hinterlassen: In Raymondas Solo wird der Bildschirm für einen Moment schwarz, bevor dann eine Art Splitscreen zu sehen ist. Links ist weiterhin die Tänzerin zu sehen, rechts werden die Hände des Pianisten auf der Klaviatur gezeigt. Nach einigen Minuten verabschiedet sich diese Spielerei durch denselben schwarzen Bildmoment, mit dem er eingeführt wurde.

Die DVD erscheint in einem sinnfreien Pappschuber und einseitigem Beiheft. Aber letztlich ist es der Inhalt, der zählt, und der stimmt.

Jasmina Schebesta