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Hintergründe

Integration ist zu wenig

Die Bundesregierung hat in einem Willkürakt Afghanistan zu einem „sicheren Herkunftsland“ erklärt. Damit geraten bis zu 12.500 afghanische Flüchtlinge in Deutschland in Gefahr, abgeschoben zu werden. Viele von ihnen, die jetzt Opfer einer menschenfeindlichen Politik werden, haben sich längst in die deutsche Gesellschaft integriert. So wie der Musiker Ahmad Shakib Pouya.
Cornelia Lanz und Ahmad Shakib Pouya - Foto © Zuflucht Kultur

Weil er als Zahnarzt in einem Krankenhaus mit Franzosen zusammengearbeitet hat und Musiker ist, geriet er nach eigenen Angaben ins Visier der Taliban. Und das bedeutet in der Regel Lebensgefahr. Also flüchtete Ahmad Shakib Pouya 2009 nach Deutschland.

Thomas Ruttig war zum ersten Mal 1983 in Afghanistan. Seitdem befasst er sich mit dem Land und gilt als ausgewiesener Experte. „Afghanistan ist zweifelsfrei kein ‚sicheres Herkunftsland‘. Die Situation dort gehört in die top five der intensivsten Konflikte weltweit“, beschreibt er die derzeit gültige Situation. Wie die Bundesrepublik Deutschland dazu kommt, dennoch Afghanistan zu einem „sicheren Herkunftsland“ zu erklären, hat für den Fachmann reinweg innenpolitische Gründe. Tatsächlich sei nicht die Sicherheitslage in Afghanistan, sondern die politische Stimmung in Deutschland für diesen Beschluss ausschlaggebend gewesen.

Bundesinnenminister Lothar de Maizière will Fakten schaffen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Bereits vergangenen Mittwoch wurden 34 von ursprünglich 50 geplanten Afghanen in das Flugzeug verfrachtet. De Maizière beeilte sich zu betonen, dass 30 Prozent der Abgeschobenen Kriminelle seien. Was er zu erwähnen vergaß: Auch Menschen, die längst gut integriert in Deutschland leben, wurden gnadenlos abgeschoben. Und der Innenminister will bis zu 12.500 Menschen in das Kriegsgebiet abschieben.

Zwei Tage Gnadenfrist

Knapp entkommen ist dieser menschenunwürdigen Aktion Ahmad Shakib Pouya. Eigentlich liegt sein Fall zur Entscheidung bei der Härtefallkommission des Bayerischen Landtags. Es entsteht der Eindruck, als fiele der Abschiebungshysterie der Politiker gleich auch noch die Rechtsstaatlichkeit zum Opfer. Das Kalkül: Wer weg ist, findet in Deutschland kein Gehör mehr. Seit seiner Flucht hat sich für den heute 32-jährigen Pouya kaum etwas verbessert, abgesehen davon, dass er außer Lebensgefahr war. Von Anfang an engagierte er sich in Deutschland. Er arbeitet ehrenamtlich als Dolmetscher – sein Deutsch ist ausgezeichnet – engagiert sich in der Flüchtlingshilfe und baut eine eigene Band auf. Trotzdem wird sein Asylantrag abgelehnt, im Sommer 2016 wird ihm der Duldungsausweis entzogen, das Duldungsschreiben, das er erhält, muss alle vier Wochen verlängert werden.

„Es heißt immer, dass Integration alles ist. Aber das stimmt nicht: Die Sprache zu lernen und ehrenamtlich zu arbeiten, das reicht nicht“, resümiert Pouya. Aber er lässt sich nicht entmutigen. Seit 2015 ist er Mitglied im Ensemble der Zuflucht-Kultur-Produktion Zaide. Eine Flucht. „Die ganze Oper ist um seine Geschichte gebaut. Er war der erste Geflüchtete, der sagte: Ich will dabei sein. Sein Liebeslied für Zaide bildet Anfang und Ende der Oper. Er trägt wesentlich zur positiven Gruppendynamik bei“, erzählt Cornelia Lanz, die dem Verein Zuflucht Kultur vorsteht und die bisher entstandenen Opernproduktionen verantwortet. Bislang arbeitete die Sängerin unermüdlich an der Integration der Geflüchteten. Nun müssen sie und ihre Mitstreiter hautnah die Willkür der deutschen Bürokratie gegenüber politisch nicht gewollten Flüchtlingen erleben. Für Pouya, der der Abschiebung knapp entging, haben sie einen Flug buchen müssen, damit er nicht inhaftiert wird und erneut einen Einreiseantrag stellen kann. Für seine deutschen Freunde ist klar, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen, um den Flug des Künstlers zu verhindern. „Am schlimmsten ist die Angst um sein Leben, wenn er in die Fänge der Taliban gerät“, sagt Lanz.

Unbegründet ist die Angst nicht. Mehr als 5.100 Zivilisten sind allein im ersten Halbjahr dieses Jahres Kampfhandlungen zum Opfer gefallen, seit 2009 nach Angaben von Pro Asyl deutlich mehr als 60.000 Menschen. „Ich habe bisher keinen Bericht gesehen, der mir den Eindruck vermittelt, es gebe in Afghanistan sichere Regionen“, erklärt Bärbel Kofler, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung.

Zwei Tage bleiben Pouya noch bei seiner Frau und den zwei Kindern, dann muss er ins Flugzeug nach Afghanistan steigen. Er wähnte sich der Lebensgefahr entronnen, jetzt holt sie ihn wieder ein. Wenn, ja, wenn nicht der bayerische Innenminister, Joachim Herrmann, in letzter Minute den Abschiebungsbescheid aufhebt.  

Menschen, die sich in der deutschen Gesellschaft integrieren, egal, ob Handwerker, Bauarbeiter oder Angestellter, dürfen nicht weggeschickt werden. Sie bereichern diese Gesellschaft. Wenn aber die Politik beginnt, Künstler wegzuschaffen, weil sie einer ihr nicht genehmen Nationalität angehören, muss das für die Gesellschaft ein Alarmsignal sein.

Michael S. Zerban

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