Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Uwe Stratmann

Aktuelle Aufführungen

Sandmann gegen Traummännchen

DER NACHTSCHRECK
(Corinna Jarosch)

Besuch am
12. März 2016
(Premiere am 11. März 2016)

 

 

Opernhaus Wuppertal

Kinderopern sind von unschätzbarem Wert. Allerdings gibt es nicht viele, die so zündend wirken, dass sie nachhaltig das Interesse der Kinder am Theater wecken könnten. Dass Corinna Jarosch, Spielleiterin an der Wuppertaler Oper, für ihr Haus ein eigenes Stück konzipieren durfte, gehört zu den Ausnahmen in unserem Opernbetrieb. Und mit dem Zauber- und Gruselmärchen Der Nachtschreck ist ihr mit Motiven aus Offenbachs schwarzer romantischer Oper Hoffmanns Erzählungen auch ein pfiffiges Stück gelungen, das Repertoirequalitäten aufweist. Und zwar ein Stück für das Große Haus mit Orchester, Chor und allerlei Bühnenzauber.

Erfahrung mit dem Genre hat Jarosch bereits sammeln können. Schließlich konnte sie in der letzten Spielzeit mit Alice im Wunderland punkten. Allesamt Produktionen, die auf die Zusammenarbeit mit Schulen angewiesen sind. Die erste Aufführung des Nachtschrecks im freien Verkauf konnte das Parkett des Hauses dagegen nur zu einem Drittel füllen, was sich nicht positiv auf die Stimmung auswirkt. Und die Distanz des Publikums zur Bühne verhindert zusätzlich jede Interaktion. So still hat man wohl noch keine Kinderoper erlebt. Unter diesem Aspekt haben kleine Spezialbühnen wie die in Köln oder Dortmund, bei denen die Kinder in Tuchfühlung zu den Darstellern sitzen, die Nase vorn. Allerdings lässt sich da nur eingeschränkt zeigen, was Oper leisten kann. Bleibt zu hoffen, dass die geplanten Schulaufführungen des Nachtschrecks volle Häuser einbringen und die frostige Atmosphäre aufwärmen können.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Handlung ist denkbar einfach: Der Schüler Hoffmann wird nachts vom bösen Sandmann um den Schlaf gebracht und ist in der Schule so müde, dass er gleich zur ersten Stunde einschläft. Im Traum begegnet ihm neben dem Sandmann mit seinen Alpträumen das liebe Traummännlein mit seiner Geisterschar. Es kommt zum Streit zwischen den beiden, und in Hoffmanns Träumen beginnt die reale Welt bizarr zu zerfließen. In den Träumen lässt Jarosch Episoden aus Offenbachs Oper einfließen. Klassenprimus Nikki alias Niklas möchte Hoffmann auf den rechten Weg bringen, hat aber keine Chance gegen die Klassenschönheit Antonia, der Hoffmann im Traum als Puppe Olympia begegnet und für die er sogar seinen Schatten verkauft. Der Sandmann nimmt die Rolle der vier Bösewichter ein. Das alles hat Jarosch geschickt und munter verknüpft, so dass auch sämtliche musikalischen Highlights der Oper von der Barcarole bis zur Kleinzack-Ballade zu ihrem Recht kommen.

Foto © Uwe Stratmann

Das romantisch versöhnliche Ende in der 70-minütigen Produktion mag vielleicht etwas lang geraten sein, dafür aber sehr wirkungsvoll. Insgesamt hat das Stück hat alle Chancen, sich erfolgreich behaupten zu können. Zumal die Wuppertaler keine Mühen und Kosten gespart haben, Hoffmanns märchenhaften (Alp-)Traum effektvoll auf die Bühne zu bringen. Marc Löhrer schafft magisch ausgeleuchtete Bühnenräume, die einen reizvollen Kontrast zur nüchternen Kulisse des realen Klassenzimmers bilden. Und angesichts der jungen, spielfreudigen Truppe samt Chor hat auch die Autorin mit der Regie keine Probleme, das Werk lebendig auf die Bühne zu bringen. Gewiss ist es gewöhnungsbedürftig, wenn die Schulbuben von gestandenen Choristen in fortgeschrittenem Alter ihren Schabernack treiben. Aber für einen Kinderchor sind die Rollen halt zu anspruchsvoll.

Das Wuppertaler Sinfonieorchester unter Leitung von Alexander Steinitz tut sein Bestes, um die Schönheiten und den Unterhaltungswert der Offenbachschen Musik zur Geltung kommen zu lassen. Auch wenn die meisten Arien und Gesänge gekürzt wurden, können die gesanglichen Leistungen freilich die immens hohen Anforderungen der Partien nicht vergessen lassen. Das muss man wohl in Kauf nehmen, wenn man nahezu ausschließlich blutjungen Kräften das Feld überlässt. Die rundesten vokalen Leistungen erbringen die koloraturgewandte Griechin Nina Koufochristou als Antonia und der Bassist Peter Paul als Sandmann. Johannes Grau verfügt für den Hoffmann über erfreuliche lyrische Qualitäten, sein Tenor wirkt in den Höhen allerdings – noch – recht dünn. Sandra Borgarts in der Mezzopartie der Nikki dreht im Finale mächtig auf, hat aber Schwierigkeiten, längere Gesangslinien bruchlos zu phrasieren. Der Spieltenor James Wood war für die ursprünglich vorgesehene Uraufführung von Rolf Soirons Kinderoper Der Goldmacher eingeplant, die allerdings nicht rechtzeitig fertig wurde. Corinna Jarosch hat den spielfreudigen Sänger kurzerhand als Traummännchen in ihre Offenbach-Adaption eingearbeitet. Gut gemeint, aber richtig ausspielen kann sich Wood in der Partie nicht.

Insgesamt also eine schöne Produktion, die allerdings unter Wert verkauft wird, wenn das Publikum nicht mitzieht. Und das kann es in einem schütter besetzten Haus halt nicht.

Pedro Obiera