Opernnetz

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Aktuelle Aufführungen

Im Vorhof der Oktoberrevolution

EUGEN ONEGIN
(Peter Tschaikowsky)

Besuch am
24. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Opernhaus Wuppertal

Das kommt davon, wenn man sich übernimmt. Ansgar Haag, vor langer Zeit Oberspielleiter in Krefeld und später Intendant in Ulm und Meiningen, sieht in Alexander Puschkins epochalem Versroman Eugen Onegin mehr, als sich Tschaikowsky für seine kongeniale Vertonung vorgenommen hat. Dass sich Tschaikowsky auf die komplexe Liebesgeschichte konzentrierte und das historisch-gesellschaftliche Umfeld, das Puschkin zu einer eindrucksvollen Analyse seines Landes im frühen 19. Jahrhundert ausweitete, weitgehend ausklammerte, ist nicht nur auf Tschaikowskys krisengeschüttelte persönliche Umstände zur Zeit der Komposition zurückzuführen, sondern auch auf handfeste und sehr konkrete dramaturgische Gründe. Schließlich ist eine Oper anderen künstlerischen und vor allem praktischen Zwängen unterworfen als ein Roman.

Abfinden will sich Haag in seiner Wuppertaler Neuinszenierung mit dieser Beschränkung nicht. Und so lässt er bereits die Vorboten der Oktoberrevolution an die Türen der Petersburger Schickeria klopfen: Sechs eher hilflos als bedrohlich wirkende Proletarier versuchen, die festliche Polonaise zu stören, und werden vom livrierten Personal mit zwei, drei Fußtritten vertrieben. Das war’s mit dem Vorausblick auf kommende russische Zeiten. Für die Oper völlig überflüssig und handwerklich armselig ausgeführt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Nicht besser ergeht es Haags Absicht, die Rolle der Langeweile in der dekadenten zaristischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Es trifft zwar zu, dass eine Triebfeder für die wankelmütige Lebensführung Onegins die Langeweile ist. Ein verwöhnter Vertreter einer privilegierten Gesellschaftsschicht, die nicht arbeiten muss, aber auch nicht arbeiten kann. Allerdings ist es nicht damit getan, jenes dumpfe Gefühl der Überflüssigkeit und Tatenlosigkeit dadurch zum Ausdruck bringen zu wollen, dass man gleich alles an Atmosphäre und Einblick in die brüchigen Charaktere eliminiert. Langeweile spannend zu inszenieren, das ist nicht jedem gegeben.

Foto © Uwe Stratmann

Und so hangelt sich der Regisseur fantasie- und meist spannungslos am Text entlang. Eine öde Angelegenheit, wenn nicht die Sänger mit ihrem persönlichen darstellerischen Einsatz Leben in die Geschichte brächten. Die komplexe Disposition der Hauptfiguren, die sich allesamt zum falschen Zeitpunkt in den falschen Partner verlieben und am Ende einen Toten, eine zurückgelassene und eine unglücklich verheiratete Frau sowie Onegin als vereinsamten Verlierer zurücklassen, erhält in Wuppertal nur dann die nötige Schärfe und Intensität, wenn sich die Darsteller von der Größe der Musik anstacheln lassen und ihre gestalterischen Fähigkeiten mobilisieren. Das ist besser als nichts, entschuldigt freilich nicht die einförmige Regie.

Die szenische Blässe vermögen auch die Bühnenbildner Bernd-Dieter Müller und Annette Zepperitz nicht aufzufangen. Die kühlen, neutralen Mauern des Landsitzes, in denen auch das matt exekutierte Duell stattfindet, bieten keinen Platz für die emotionalen Eruptionen der jungen Tatjana und deren Visionen von einem glücklichen Leben. Die kalte Pracht im Petersburger Luxus-Domizil wird wesentlich besser getroffen.

Es scheint, dass der scheidende Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka diesem Notstand mit einem knalligen Klangrausch des Wuppertaler Sinfonieorchesters begegnen möchte, damit freilich etliche feine Schattierungen der Partitur überrollt und die Sänger zu unnötigem Forcieren zwingt. Kein Tschaikowsky für Feinschmecker. Das ist bedauerlich, da ein durchaus kompetentes Ensemble zusammengestellt wurde, das seine Qualitäten freilich nicht ungestört entfalten kann. Am wenigstens beeindruckt von diesem Umstand zeigt sich in der Premiere Mirjam Tola als Tatjana, der die Palme des Abends gehört. Eine Sängerin, die sowohl die zarten, schwärmerischen Töne des jungen Mädchens hinreißend zum Klingen bringen kann als auch die dramatischen Impulse der reifen Frau. Ihre „Briefszene“, aber auch ihre emotionalen Aufschwünge in der Final-Szene gehören zu den Höhepunkten des Abends.

Mikolaj Zalasinski verfügt für die Titelpartie über einen robusten, bisweilen rau ansprechenden Bariton, entschädigt aber durch Bühnenpräsenz und Intensität. Er passt sich dem rustikalen Musizierstil Kamiokas an, so dass von der Nobilität eines Kavalierbaritons nicht allzu viel zu hören ist. Das betrifft auch den Lenskij von Mikhail Agafonov, der einen konditionsstarken Tenor hören, aber unter dem orchestralen Druck Probleme in den Höhen erkennen lässt. Andreas Hörl singt einen respektablen Gremin mit beeindruckender Tiefenschwärze und ein wenig dünnen Höhen. Trotz ihres dunklen Timbres klingt der Mezzo von Viola Zimmermann als Olga erstaunlich scharf. Eine Idealpartie ist die Rolle für ihre Stimme nicht. Der Rest des Ensembles einschließlich des Chores löst seine Aufgaben mehr oder weniger untadelig.

Ein großer Wurf ist die Produktion trotz einiger vokaler Meriten nicht geworden. Dennoch begeisterter Beifall für eine szenisch matte, orchestral aufgeputschte und vokal ansprechende Leistung.

Pedro Obiera