Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Heimkehr eines scheinbar Vergessenen

IL RITORNO D'ULISSE IN PATRIA
(Claudio Monteverdi)

Besuch am
8. Juli 2016
(Premiere)

 

Hochschule für Musik Würzburg,
Theater in der Bibrastraße

Als Claudio Monteverdi seine Oper Il ritorno d’Ulisse in patria 1640 in Venedig zur Uraufführung brachte, eine tragedia in musica nach dem Libretto von Giacomo Badoaro, wohl für eine Operntrilogie gedacht, richtete sie sich an ein Publikum, das die antike Vorlage, nämlich Homers Odyssee gut kannte. Solches kann man heute nicht mehr verlangen. Vielleicht gerade deshalb empfiehlt es sich, den antiken Götterhimmel, der hier vorkommt, eher mit Augenzwinkern zu betrachten, die Akzente aber mehr auf das Menschlich-Allzumenschliche zu verlegen, so auf die ausharrend treue, aber verzweifelte Ehefrau Penelope, die 20 Jahre auf die Rückkehr ihres verschollenen Gatten wartet und sich durch die sie umwerbenden Freier zwar irgendwie geschmeichelt fühlt, aber im Innersten weiß, dass die nur auf eine Heirat spekulieren, um auf den Thron des kleinen Königreichs zu kommen. Dass diese Männer außerdem eingebildete Machos sind, dürfte Penelope sowieso von einer Bindung abschrecken. Als aber ihr tot geglaubter Gatte in der Verkleidung eines obdachlosen Bettlers auftaucht, kann sie sich vorerst nicht für ihn begeistern; immerhin nimmt sie ihn auf, und erst ganz am Schluss schwindet ihr Misstrauen, kann sie mit ihm in ein versöhnendes Liebesduett einstimmen und ihn als ihr Herz und ihr Leben bejahen, wobei er allein knien bleibt – mit einem Rest Skepsis ob ihrer Liebe?

Im Würzburger Operntheater in der Bibrastraße zeigen nun talentierte Studierende der Hochschule für Musik das scheinbare Drama in einer herzerfrischenden, unterhaltsamen, sehr überzeugenden Aufführung. Unter der Regie von Holger Klembt agieren sie sehr lebendig in einem relativ schlichten Bühnenbild von Andreas Herold, das mit einer Spiegelwand für die Göttererscheinungen, Podesten mit Treppen und Bildern von Meereswellen die Schauplätze gut andeutet. Natürlich sind die handelnden Personen Leute von heute in zu ihnen passenden Kleidern von Sylvia Rudolf. Da genügt es, Penelope, die Königin, durch ein Krönchen im Haare hervorzuheben oder Odysseus als Obdachlosen in voller Montur mit Kappe schlurfend einen Einkaufswagen voller Tüten vor sich her schieben zu lassen, Telemach als Absolvent irgendeines exklusiven Internats bei seiner Heimkehr in seiner Rolle als hoffnungsvoller Sohn zu kennzeichnen; die Dienerin Melanto aber darf da ganz sexy in knappem Kleidchen daherstöckeln. Besonders witzig sind die Götter. Während Neptun im schwarzen Ledermantel einen riesigen Dreizack schwingt, erscheint Jupiter als völlig entspannter Urlauber unter einer goldenen Palme auf einer Ferieninsel, sein Blitz erinnert an eine goldene Wasserpistole, und als er später von der Empore herab ein Machtwort spricht, lässt er Goldflitter rieseln. Minerva, also Athene, darf als verkleideter Fischerjunge einen Fisch aus dem Orchestergraben angeln und dabei Odysseus verkünden, dass er endlich in Ithaka angekommen sei; später aber zeigt sie sich als wirklich wehrhafte Göttin mit blitzendem Schwert und erhält durch Juno oder Hera, die hier einer Mondgöttin gleicht, Unterstützung im Bestreben, Odysseus endlich heimkehren zu lassen. Ein absoluter Höhepunkt ist die Probe mit dem Spannen des Bogens von Odysseus und die sehr effektvoll durch die Lichtführung gelenkte Ermordung der Freier durch Odysseus per Pfeilschuss. Diese Wendung des Geschehens mutet heute etwas altertümlich-grausam an; so steht sie aber bei Homer.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dagegen wirkt erstaunlicher Weise die Musik Monteverdis außerordentlich frisch, jedenfalls so, wie sie vom Barockorchester der Hochschule auf historischen Instrumenten wie Lirone, Zink, Theorbe, Barockposaunen und Orgel/Regal erklingt. Andreas Meier leitet die jungen, engagiert mitgehenden Musiker sehr aufmerksam und energisch. Er hat auch die musikalische Einrichtung besorgt. Gestützt auf Opernhandschriften venezianischer Komponisten und die Werke Monteverdis hat er zwar Kürzungen vorgenommen – so fallen der Chor wie auch die Ballettmusik weg – aber einiges wie Vor- und Nachspiele neu hinzukomponiert, eine passende Instrumentierung vorgenommen. Denn der originale Notentext der einzigen erhaltenen Abschrift von 1640 besteht nur aus Gesangs- und Generalbassstimme. Typische Klangfarben für einzelne Personen oder affektbeladene Szenen fehlen. Eingefügt wurde nun beispielsweise für den Tanz der Freier ein bearbeitetes Zwischenspiel von Biagio Marini. Jupiter wird der Zink zugeordnet, Neptun Posaunen, und zu einem Pastorale gehört unbedingt eine Flöte. Monteverdis Musik untermalt nämlich stimmungsvoll den Text und die darin enthaltenen Emotionen; sie spielt auch mit überraschenden Effekten und starken Kontrasten. Das zeigt sich zum Beispiel bei der blutigen Rache des Odysseus an den Freiern vor dem Auftritt der entsetzten Penelope oder bei der grotesken Ankündigung des Schmarotzers Iro, Selbstmord durch Hungertod zu begehen. Das kleine Orchester, rhythmisch zupackend und klanglich kraftvoll, trägt die jungen Sängerinnen und Sänger bestens.

Foto © Andreas Herold

Nach dem Prolog unter Leuten von heute, in dem die menschliche Zerbrechlichkeit, der spätere Odysseus oder Ulisse, vom Schicksal, Stefanie Wagner, der Liebe, Maria Teresa Bäumler, und der Zeit, Jakob Mack, hinterrücks niedergestreckt wird, beginnt die eigentliche Handlung, insgesamt ein Widerspruch zum Inhalt dieses Vorspiels: Der Mensch kann sich doch wieder aufrichten, wenn er nur hartnäckig seinen Weg geht. Zuerst aber blickt der Zuschauer in den Palast der niedergeschlagen trauernden Penelope. Nora Meyer gestaltet mit ihrem runden, wohlklingenden Alt und mit überzeugendem Auftreten eine Frau zwischen Sehnsucht, Verzweiflung und innerer Verwirrung. Nur selten darf sie gelöster erscheinen. Sie lässt sich auch nicht trösten von ihrer Amme Ericlea, der Catherine Garrido Dominguez mit dunkel timbriertem Sopran viel Würde verleiht, während die Dienerin Melanto, Yujeong Ma, eher flatterhaft wirkt mit ihrem leichten, hellen Sopran. Odysseus wird zuerst sichtbar im Schiff der Phäaken, dargestellt durch die später auftretenden Freier; der Held schläft, während Poseidon auf dem Meer herbeifährt; diesen Nettuno gibt der hoch gewachsene Jakob Mack als unversöhnlichen Gott mit großem Bass, dem nur noch etwas die Tiefe fehlt, während Alexander Geiger als freundlicher Jupiter seinen weit tönenden Tenor mächtig erschallen lässt. Als Iro gefällt er sich obendrein in der Rolle eines komischen Zeitgenossen. Jupiters Schwester und Gemahlin Juno ist bei der fein singenden, graziösen Hongyü Xing bestens aufgehoben. Franziska Vonderlind ist eine souveräne Minerva und begeistert mit ihrem tragfähigen Sopran vor allem durch die glänzenden Höhen und stilgerechten Verzierungen. Die drei Freier gefallen vor allem durch ihr Spiel; Veith Wagenführer tritt dabei in einer Doppelrolle als Anfinomo und dessen Diener Eurimaco auf, kann hier mit der Stimmgewalt seines großen Tenors imponieren; den Pisandro gibt Markus Hein mit etwas schmalem Countertenor, während Elias Wolf als Antinoo seinen Bass gut einsetzt. Zur engeren Familie des Odysseus aber gehören der treue Hirt Eumete, den Oliver Kringel mit viel Spiellaune und sicherem Tenor ausstattet, und Telemach, Katharina Flierl, locker in der Bewegung und stimmlich recht passend. Alles aber hängt davon ab, wie der Titelheld Ulisse gestaltet wird; Stefan Schneider zeigt ihn glaubhaft als aufrechten, duldsamen Mann, der innerlich leidet und die vielen Facetten seiner verborgenen Emotionen mit seinem angenehmen Tenor ausdrucksstark, nie übertreiben vermittelt.

Dafür, dass die engagierten jungen Leute den alten Stoff so unverbraucht auf die Bühne bringen, ihn mit frischem Klang erfüllen, bedankt sich das voll besetzte Haus bei der Premiere mit langem, herzlichem Beifall.    

Renate Freyeisen