Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Zu laut für leise Töne

RENT
(Jonathan Larson)

Besuch am
15. Januar 2016
(Premiere am 31. Dezember 2015)

 

 

Rent heißt das Rockmusical von Jonathan Larson, abgebrannt könnte es in der englischsprachigen Inszenierung des Theaters Trier auch heißen, passen würde es. Man befindet sich in New York um das Millennium herum: Roger, ein Musiker mit Schreibblockade, und sein Mitbewohner Mark, ein ebenso begeisterter wie erfolgloser Filmemacher, haben ein Problem mit ihrem ehemaligen Mitbewohner Benny, der über eine vorteilhafte Heirat zu ihrem Vermieter geworden ist: Er will seine Miete. Und die haben die beiden nicht. So der Plot.

Natürlich geht es um mehr, es geht um Leben und Tod, und um Liebe. Roger ist HIV-positiv und will noch einen großen Song schreiben, um etwas zurück zu lassen, was ihn und dieses „sinnentleerte Leben“ überdauert. Er lernt die Tänzerin Mimi kennen, die ebenfalls Aids hat und zu alledem auch noch an der Nadel hängt. Sie versuchen, eine Beziehung zu führen, versuchen, ihr Leben weiterzuleben, solange es eben geht, und versuchen dabei, den nahenden Tod mit viel Alkohol, Drogen und ausschweifenden Partys auszublenden. Letzten Endes kommen Mark und Roger um die Zahlung ihrer Wohnungsmiete herum, müssen aber ihre offene Rechnung mit dem Leben begleichen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Um das Stück bewerten zu können, muss man das lose Blatt beachten, das dem Programmheft beiliegt. Darin erklärt Intendant Karl Sibelius, dass es nach wenigen Aufführungen des Musicals zu drastischen Änderungen der Inszenierung kommen musste. Eine zusätzliche Figur, die Regisseur Malte C. Lachmann in die Trierer Version eingebaut hatte, musste nach einem förmlichen Schreiben des Verlags ersatzlos gestrichen werden. Lachmann wollte eine „alte Joanne“ mit auf die Bühne bringen, die sich an die Geschehnisse in den 1990-er Jahren erinnert, dem Publikum die Zeit, die Krankheit und ihre Auswirkungen erklärt und im Stück präsent ist, als würde sie in ihren eigenen Erinnerungen schwelgen.

Diese Figur fehlt nun. Die Inszenierung will vor der Pause einfach keinen Drive bekommen. Die Szenenbilder wirken oft statisch, eine emotionale Nähe zu den Figuren will nicht aufkommen, man möchte sich ihnen auch gar nicht annähern. Zu selbstzerstörerisch und weltfremd ist ihr Verhalten, besonders die Figur der Mimi ist eine, um die man im Dunkeln lieber einen Bogen schlägt. Man bekommt das Gefühl einer Erwachsenen, die auf ihre Jugendzeit zurückschaut, sich an ihre wilden Zeiten erinnert, aber sich gleichzeitig dafür schämt. Erst mit Auftauchen der Maureen ändert sich die Dynamik des Spiels, es wird lockerer, frischer, verbindender. Kurz vor der Pause findet Lachmann mit der gesanglichen und tänzerischen Inszenierung von La Vie Bohème den Ton, den er bis zum Ende halten will. Lachmanns Inszenierung fehlt in der ersten Hälfte ein verbindendes Glied; ob die Figur der alten Joanne dieses Bindeglied gewesen wäre, ist ohne sie schwierig zu beurteilen.

Foto © Vincenzo Laera

Richtigen Schwung bekommt das Musical erst in der zweiten Hälfte, wenn „alle“ Figuren im Spiel sind und sie sich aneinander aufreiben können. Dann zeigt sich auch eine emotionale Tiefe, die weiterführt als ein jugendliches Ich-will-Spaß,-ich-geb‘-Gas-Gehabe. Wirklich berührt ist das Publikum bei der Beerdigung der Drag-Queen Angel, dargestellt von Manuel Dengler, die als fürsorglicher Charakter, der mit sich und der Welt im Reinen ist, ganz in weißem Lack, mit Marylin-Monroe-Frisur, dem Stück eine erfrischend lebensfrohe Note verleiht. Wunderbar zerfallen vor Trauer ist dann Norman Stehr als Tom Collins. Bühne und Kostüm stammen von Daniel Angermayr, der aus einer drehbaren Sperrholzplatte, einem Sofa, einem Kühlschrank und weißen, bemalten Transparenten eine New Yorker Wohnung in einem heruntergekommenen Viertel macht.

Musikalisch hapert es an diesem Abend des Öfteren. Generell bekommt man den Eindruck, dass die Band rund um Dean Wilmington, die hinter den bemalten Transparentbahnen sitzt, zu laut ist. Laut ist auch bei einem Rockmusical nicht immer gut, die Sänger müssen einiges aus sich herausholen, um überhaupt gehört zu werden. Da vergreift sich der eine oder andere mal im Ton. Und auch Passagen, in denen miteinander gesungen wird, sind eher laut als harmonisch. Es singe eben jeder so laut er kann. Kraftvoll genug sind Sasha Di Capri als Roger, Kathrin Hanak als Joanne und Sidonie Smith als Maureen. Besonders Sybille Lambrich als Mimi kämpft mit dem Druck einer Rockröhre. Die Inszenierung verlangt ihr aber auch einiges ab: an der Stange tanzen und gleichzeitig Out Tonight zu singen, ist ein Kraftakt, dem man Respekt zollen muss. Das Problem der Lautstärke zeigt sich auch beim Chor, der zwar darstellerisch ein solides, überzeugendes Element des Stückes ist, aber gesanglich oft schrill klingt und zu viel Druck ausüben muss.

Das Publikum ist trotz alledem begeistert und ehrt die Sänger und Musiker mit minutenlangem, stehendem Applaus.

Die Trierer Version von Rent versucht ein Lebens- oder eher ein Sterbensgefühl einzufangen, was es so vor zwanzig Jahren gegeben hat. Dabei bekommt die Diagnose Aids im Stück einen sehr zwiespältigen Charakter: Einerseits den einer tödlichen Krankheit, aus der es kein Entrinnen gibt, die den Menschen vor ein Ausgeliefertsein stellt, wie es zuletzt mittelalterliche Krankheiten wie Pest, Lepra und Tuberkulose getan haben. Andererseits wird sie zu einem Verbindungsstück, einem Katalysator für ungezwungene Lebensliebe, einer Möglichkeit für Betroffene, untereinander wieder eine wirkliche Verbindung zueinander empfinden zu können. Erst in ihrer gemeinsamen Erkrankung können Roger und Mimi wirklich eine Brücke zueinander schlagen. Schade nur, dass in der Trierer Inszenierung diese Verbundenheit über den ersten Teil fehlt und dass die Musik der Band, statt zwischen den Musikern zu schwingen, sich wie eine dröhnende Decke über alles legt. Es ist einfach zu laut für die leisen Töne.

Stefanie Braun