Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Edouard Olszewski

Aktuelle Aufführungen

Schluss mit Alpenzauber

IM WEISSEN RÖSSL
(Ralph Benatzky)

Besuch am
22. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Seit dem 8. November 1930 erfreut das Singspiel Im Weißen Rössl die Menschen. Als Revue-Operette im Großen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt, erfuhr es in Deutschland nach sensationellen Erfolgen einen weiteren Höhepunkt, als sich ab 1960 die Verfilmung mit Peter Alexander in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingrub. Bis heute ist jede der Musiknummern von Ralph Benatzky, Robert Stolz und Robert Gilbert ein Operetten-Hit. In den vergangenen Jahren waren es vor allem die Festivals in den Sommermonaten, die das Stück – gerne unter freiem Himmel – zum Vergnügen von Feriengästen auf die Bühne brachten.

Wenn sich ein Stadttheater dieses Stückes im Herbst annimmt, muss es also einen besonderen Grund geben, die Verbindung aus Alpenseligkeit und Berliner Schnoddrigkeit, diesen verrückten musikalischen Stilmix, der so gut zu rotweiß-karierten Tischdecken und Kuhstall passt, aus den Urlaubsorten in die Stadt zu holen. Christian von Götz, eigentlich Rossini-Spezialist, sieht vor allem die größeren Ressourcen des Stadttheaters, eine neue Sichtweise auf das Stück zu versuchen. Getreu dem künstlerischen Prinzip der Dekonstruktion lässt er keinen Stein auf dem anderen stehen, zerstört liebgewonnene Seh- und Hörgewohnheiten, um aus einer schier psychedelischen Sichtweise ein neues und im besten Fall besseres Kunstwerk entstehen zu lassen. Schon in der Eröffnung beweist er mit seinem Bühnenbild, dass nicht Modernität die Lösung ist. Ein handgemalter Prospekt ist im Hintergrund aufgehängt, vor dem sich eine Rasenfläche erstreckt. Später lässt er die Hebebühnen hochfahren. Auf der hinteren Bühnenhälfte erscheint die Fassade des Hotels, vor der Platz für die Hotelterrasse ist, auf der vorderen Hälfte das „Flokati-Zimmer“ – so etwas sieht man sonst wohl, vor allem in der Beleuchtung, nur im Puff. Zwischendurch beherrscht ein überdimensionales Herz die Bühne, das als Klettergestell dient und zwischenzeitlich eine bedenkliche Eigendynamik entwickelt. Schließlich gibt es noch das versöhnliche Bild des bühnenfüllenden Tisches, an dem alle Platz finden. Das alles wird in abwechslungsreiches Licht getaucht, in dem auch die Disko-Kugel immer wieder Einsatz findet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Gibt es hier noch die Anklänge herkömmlichen Theaters, verwirklicht Sarah Mittenbühler die eigentliche Vision des Regisseurs mit ihren Kostümen und Perücken. Da explodiert im Farbenrausch jegliche hergebrachte Vorstellung, zerbröseln die bonbonhaften, fantasievollen Schnitte und überbordenden Frisuren jeden Alpenzauber. Wunderbar bis dahin.

Foto © Edouard Olszewski

Konsequent bringt von Götz auch die Tänzer der Uraufführung wieder auf die Bühne, die sonst gerne aus finanziellen und Platzgründen weggelassen werden. Dass in der Choreografie von Kerstin Ried Synchronisation keinen Platz hat, scheint nur logisch. Und dass der Einsatz der Tänzer bisweilen ein wenig anarchisch wirkt, bitte schön.

Bis hierhin sollen alle Brüche gelten. Wer allerdings auf die Idee gekommen ist, die Sänger mit Mikrofonen einer völlig veralteten Technik zu versehen, sollte sich nach diesem Abend in Grund und Boden schämen. Überflüssig wie ein Kropf, erklingen die Gesänge aus einer Tonquelle und prompt verrutscht auch noch mehrfach das Mikrofon vom Poldi. Anscheinend unbemerkt von Technik oder Abendspielleitung. Das ist schlicht unprofessionell.

Bewundernswert, wie Bonko Karadjov die Panne als Leopold Brandmeyer durchhält. Er spielt den Oberkellner in einer Mischung aus traurigem Clown und Conferencier, singt großartig auch dann, wenn er falsch singen muss. Eine Paraderolle. Seine Doppelrolle als Kaiser ist nicht zu Ende gedacht, aber die Anfänge spielt er sehr gut. An seiner Seite Carin Filipčić als Josepha Vogelhuber, die Wirtin. Eine vollkommen passende Stimme, bei der man überhaupt nicht weiß, was sie mit einem Mikrofon soll. Darstellerisch ohne Fehl und Tadel.

Folgt man dem Konzept des Regisseurs, mag Dr. Otto Siedler in der Besetzung mit Fritz Spengler passen. In der Auffassung des Kritikers nicht. Das falsche Falsett straft die wunderbaren Melodien Lügen, der körperliche Umfang schränkt die Rolle in einem Maße ein, dass es den Spaß verdirbt. Da kann auch Eva Maria Amann an seiner Seite als Ottilie Giesecke mit vollendeter Stimme und allen Maßgaben, die die Rolle verlangt, nichts ändern. Beim Fabrikanten Wilhelm Giesecke, ihrem Vater, wird es schwierig. Es wird nicht klar, was der Regisseur da dekonstruieren wollte. Norman Stehr jedenfalls gelingt es nicht, diesen Berliner Urtyp in letzter Konsequenz überzeugend darzustellen. Zumal er durchaus nicht immer deutlich spricht. Christopher Ryan als Sigismund Sülzheimer wird noch am ehesten den hergebrachten Rollenvorstellungen gerecht. Prof. Dr. Hinzelmann wird von Christian Beppo Peters endgültig als Stand-up-Comedy dargebracht. Frauke Burg kann sich sexy präsentieren, bleibt aber in der Personenführung undeutlich. Und Gilles Welinski als Piccolo verliert in seiner Überdrehtheit an Bedeutung.

Chor und Extrachor beweisen in der Einstudierung von Angelika Händel echtes Engagement, ohne allzu textverständlich zu sein. Da es keine Übertitel gibt, sollte der Zuschauer schon kenntnisreich in das Stück gehen – der mehr als schmale Abendzettel gibt da wenig Hilfe.

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier spielt unter den weit ausgreifenden und energischen Anweisungen des Ersten Kapellmeisters Wouter Padberg begeisterungsfähige, transparente Musik. Padberg hat immer auch Sänger und Chor intensiv im Blick. Trotzdem kommen sie alle nicht zusammen. Am Mikrofon scheiden sich die Wege. So schön das Orchester spielt, so weit entfernt sind die Gesänge.

Das Publikum ficht das alles nicht an. Hier ist Komödienstadl angesagt. Die Begeisterung ergießt sich in Klatschmarsch und Gelächter. Am Ende springen die Menschen von den Sitzen. Bravo-Rufe für den Regisseur und sein Team ergänzen das Johlen für die Darsteller. In Trier geht aus Sicht des Publikums ein großer Musiktheater-Abend zu Ende.

Michael S. Zerban