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Foto © ArtEO Photography

Aktuelle Aufführungen

Schön anzusehen

HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)

Besuch am
16. Dezember 2016
(Premiere)

 

 

Wer kennt sie nicht? Die berühmte Liedzeile „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald“? Auch das Theater Trier wirbt in seinem Programmheft zur Aufführung von Engelbert Humperdincks Oper mit dem beliebten Kinderreim. Und weckt damit nicht nur schöne Kindheitserinnerungen, sondern auch hohe Erwartungen. Wie geht man um mit dem Stoff, so dass er für Erwachsene spannend und für Kinder bezaubernd bleibt? Denn das Theater Trier öffnet, nicht nur wegen des neuen Kinderchors, seine Pforten auch zu diesem Stück für die Kleinsten.

Rein optisch gelingt das dem Regieteam, bestehend aus Bernhard Siegl, verantwortlich für Inszenierung und Ausstattung, und Choreograf Victor Alfonso Zapata Cardenas. Siegl versetzt das allseits bekannte Märchen um die Geschwister Hänsel und Gretel in eine triste, farblose Welt, voller Arbeit und Mühen. Da erscheint es nicht verwunderlich, dass das Hexenhaus in dieser Schwarzweiß-Welt nicht mit Süßigkeiten, sondern mit Farbexplosionen lockt, die per Videoeinblendung von Katarina Eckold auf einen leeren, hausförmigen Kasten projiziert werden. Es ist eine Welt, in der Kinderarbeit, elterlicher Frust und daraus resultierende überzogene Bestrafungen an der Tagesordnung sind. Die Mutter ist lieblos und schlägt, der Vater schlägt und säuft, Gretel und Hänsel sind keine Kinder, sondern fester Bestandteil des elterlichen Erwerbs. Besonders eindrucksvoll das Bild des vom Himmel fallenden Reisigberges, durch den sich Hänsel und Gretel fließbandartig schuften müssen. Die eingelegte Tanzpause erscheint als kämpferisches Aufbegehren der eigenen kindlichen Natur, das Leben auch mal genießen zu wollen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Wunderschön anzusehen ist die Inszenierung des Waldes, der auf den versenkbaren Bühnenteilen ein gruseliges Eigenleben entwickelt. Passend grässlich und märchenhaft unheimlich sind die Kostüme: die Familie zerlumpt, die Mutter vor ihrer Zeit verwelkt, die Kinder aufs Nötigste ausgestattet.

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Dahingegen fungieren die naturgeisthaften Kostüme von Sandmännchen und Taumännchen als fantasievoller Hingucker: Das Sandmännchen als Faun-Figur mit Hufen und einem übergroßen Ziegenkopf aus einem Holzskelett, das Taumännchen als übermannsgroßer Vogel ebenfalls mit skelettartigem Kopf. Und dann die Hexe, dargestellt von Fritz Spengler, die mit Trippelschritten unter dem Ballonrock den Anschein erweckt, sie würde über dem Boden schweben. Mit bis zur Bewegungslosigkeit aufgeplusterten Ärmeln, fettigen Haarsträhnen auf sonst blankem Kopf und überlangen Fingernägeln wird Spengler zu einer Hexe, der man ungesehen abnimmt, dass sie sich von gebratenen Kindern ernährt. Siegl möchte aus dem Märchen eine Art Studie machen, aus einer Zeit, in der Aberglaube und Wirklichkeit noch Hand in Hand gingen, in der Elend der Status quo war und Kinder öfter ein Opfer von Gewalt und Zwang blieben als Zöglinge, die man in Freiheit und Liebe großzieht. Schön und nur logisch erscheint die Entscheidung der Kinder, am Ende nicht mit den Eltern zurückzugehen, sondern bei den erlösten Opfern der Hexe zu bleiben.

Die wunderbare Optik weckt große Erwartungen, die die reine Inszenierung leider kaum decken kann. So einfallsreich Siegl mit der Ausstattung ist, so dröge, teils plump und wiederholend ist seine Inszenierung. Die Sänger verfallen schnell in immer gleiche Posen, greifen oft hintereinander zur selben Gestik und Mimik: Hänsel und Gretel trippeln in kindlicher Freude unentwegt mit den Füßen auf dem Boden, flattern dabei mit den Händen in der Luft, geben sich einen Klaps auf den Hintern, immer wenn sie unaufmerksam werden. Die Inszenierung erscheint in ihren Details einfallslos und verlässt sich oft auf die wirklich starke, detailverliebte Ausstattung. Ähnlich erscheint es mit der Choreografie von Cardenas: Neben wenigen starken Momenten, wie dem in der Traumsequenz, als der Kinderchor Handpuppen-Masken mit karsperleartigem Hexenkopf über die zu einem stummen Schrei verzerrten Gesichtchen zieht, gibt es unzählige schwächere Momente, denen es an Raffinesse und Fantasie fehlt. Der Kinderchor wirbelt die Arme umeinander, streckt dem Publikum nacheinander die Zunge raus oder macht ihm eine lange Nase. Da bleibt Cardenas Choreografie oft flach und wird zum rein optischen Hilfsmittel. Die Tanzeinlage soll die Opfer der Hexe darstellen, sie in ihrem Leben als Kinder präsentieren, der eigentliche Gänsehautmoment mit den Handpuppen-Totenmasken ist nur kurz und unvermittelt.

Darstellerisch und stimmlich ist Spengler der Höhepunkt der Inszenierung. Alles wartet auf den Auftritt der Knusperhexe, und als er da ist, gestaltet Spengler ihn gebührend ekelhaft, unangenehm und angsteinflößend. Stimmlich meistert der Countertenor souverän mal kreischend-hohe Lacher, dann tief gesprochene Zauberformeln, er beherrscht die Hexe in Stimme und Präsenz. Schwach sind dagegen die Parts der Mutter Bernadette Flaitz, des Vaters László Lukács sowie von Frauke Burg als Sandmännchen und Taumännchen. Flaitz‘ Sopran ist zwar aussagekräftig, ihre Aussprache dafür mehr als undeutlich. Ihr Spiel mit den Kindern bleibt unbeholfen, in der Rolle der Ehefrau taut sie etwas auf. Lukács kämpft als Vater mit den sperrigen Zeilen, da fehlt Raum, um den Bariton zu entfalten. Dafür ist sein Spiel lebhaft und freudig. Auch Burg hat Probleme mit der Lautstärke; ihr heller, jugendlicher Sopran verschwindet oft hinter dem Orchester. Warm, freundlich und kraftvoll ist Eva Maria Amanns Sopran in der Rolle der Gretel, vielseitig auch Yajie Zhang als Hänsel, auch wenn sie in den Tiefen manchmal an Druck verliert.

Der Kinderchor unter der Leitung von Martin Folz ist gesanglich, obwohl er erst wenige Monate fester Bestandteil am Theater Trier ist, schön ausgearbeitet. Sein Abschluss-Dank an die beiden Geschwister ist fein einstudiert und ein rundes Ergebnis.

Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl tastet sich am Anfang schwerfällig an die dichte Musik heran, arbeitet sich redlich durch die Partitur und findet mit Einsetzen des Gesangs in den nötigen Schwung, den es bis zum Ende hält, um Humperdinck eine leichte Note zu geben.

Das Publikum macht es einem an diesem Abend schwer, sich in die Aufführung gebührend hineinzuversetzen: Ständig wird mal mehr, mal weniger leise geflüstert und minutenlang mit Bonbonpapierchen geraschelt, um den dauerpräsenten Husten zu bekämpfen. Auch wenn Erkältungszeit ist, soviele Grippepatienten können nicht zusammen in einer Premiere sitzen. Zudem: Stolz darüber, dass das eigene Kind Teil einer Operninszenierung ist, ist mehr als normal und durchaus verständlich. Dennoch sollte bei allem Stolz darauf geachtet werden, dass auch andere Menschen die Aufführung genießen möchten, ein ständiges Austauschen über das Kind auf der Bühne muss nicht sofort passieren, sondern kann auch bis nach der Vorstellung warten. Das Publikum belohnt den Abend mit minutenlangem, stehendem Applaus.

Optisch und musikalisch ist die Trierer Fassung von Hänsel und Gretel durchaus lohnenswert. Schade ist nur, dass sich die Inszenierung nicht entscheiden kann, wie weit sie mit ihren Ideen gehen darf. Es scheint, dass man hier in einem kindgerechten Rahmen bleiben wollte und daher vieles nicht weiter gedacht hat. Gewalt spielt sowohl in der Eltern-Kind-, als auch in der Elternbeziehung eine Rolle, wirklich nachvollziehbar ist das aber nur anhand der verhaltenen Reaktionen derjenigen, die Opfer dieser Gewalt sein könnten: Die Mutter scheut vor dem Besen in der Hand des Vaters, die Kinder ziehen den Kopf zwischen die Schultern, wenn die Mutter auf sie zukommt. Amann und Zhang sind gesanglich eine hervorragende Wahl, und Spenglers Hexe ist ein gelungenes Rundumpaket. Eine Inszenierung, die optisch wunderschön ist, der aber mehr Mut zum Detail hülfe.

Stefanie Braun