Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Anna Maria Löffelberger

Aktuelle Aufführungen

Knusperhexe als Horrorclown

HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)

Besuch am
30. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Salzburger Landestheater, Felsenreitschule

Bereits beim Vorspiel verteilt der freundliche Clown Luftballons und Süßigkeiten an die Kinder, die ihn begeistert hüpfend umringen. Doch plötzlich lüftet er seine lächelnde Maske, es ist die Hexe und sie hat die Fratze eines Horrorclowns. Die Kinder stieben kreischend davon. Offenbar konnte Johannes Reitmeier der Versuchung nicht widerstehen, in Engelbert Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel dieses neue, brandaktuelle und in den Medien derzeit omnipräsente Phänomen der Gruselclownsins Zentrum des Märchenspiels zu rücken.  

Diese nunmehr beinahe allgegenwärtige Clownhexe wird zum Drahtzieher der Handlung. Sie kauft dem Vater alle Besen ab, übergibt ihm dafür ein mit Essen prallgefülltes Einkaufswägelchen. Sie legt für die Kinder immer wieder Köder aus, weist Hänsel und Gretel in die Irre, zaubert für Hänsel ein neues schickes Fahrrad her und saust zweimal quer am Plafond der Felsenreitschule spektakulär über die Köpfe der Zuseher hinweg.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Neuproduktion des Salzburger Landestheaters dieser beliebten Märchenoper – der Text stammt von Adelheid Wette, der Schwester des Komponisten nach dem Grimmschen Märchen – kommt auf der Bühne in der riesigen Felsenreitschule auch sonst mit wenig Romantik, Poesie und Natur aus. Denn ein Wald ist nicht auszumachen, die wenigen Bäume und die krakeligen Gestelle, die von der Clownhexe herbeizaubert werden, sind kahl. Die über die ganze Bühne verteilten Unmengen von Brennholzstößen deuten eher darauf hin, dass man den Wald schon abgeholzt hat. Aber es gibt ein immerhin neben dem Elternhaus auch ein putziges Knusperhäuschen mit Lebkuchen und großen Mozartkugeln. Die Ausstattung erdachte Court Watson. Wer auf Märchenhaftigkeit oder Poesie in dieser meistgespielten Kinderoper hofft, die für viele Kinder das erste musikalische Theatererlebnis ist, wird enttäuscht sein. Lediglich bei der Pantomime, also beim Schlaf der Kinder, gibt es magische Bilder.

Foto © Anna Maria Löffelberger

Denn da wird die Felsenreitschule, deren mehrstöckige Arkaden immer wieder in das Geschehen einbezogen werden, in magisches blaues Licht getaucht. Unzählige weiße, pelzige Engelchen bevölkern die und lassen Glitzerstaub herunterrieseln. Und so lässt Johannes Reitmeier, er ist Intendant des Tiroler Landestheaters, weniger Märchenzauber zu, sondern inszeniert die Geschichte eher als böses Erwachsenenstück. Und als die Hexe tot ist und alle Lebkuchenkinder erlöst zum Leben erwachen, taucht seitlich wieder der freundliche Clown auf und beginnt wieder, die Kinder mit Luftballonen zu locken. Ja, ja so ist das halt: Das Böse ist nicht auszurotten, es ist immer da.

Überwiegend gut ist das Sängerensemble: Elisabeth Jansson ist ein stimmsicherer, leider völlig unverständlicher Hänsel, Athanasia Zöhrer ist eine entzückende, hellstimmige, kindliche Gretel. Beide spielen mit natürlich jugendlicher Naivität. Jukka Rasilainen ist ein kraftvoller Vater mit einem in der Höhe beengten Bariton, Anna Maria Dur eine solide Mutter. Franz Supper ist eine listige Hexe, die aber eher humoristisch denn bedrohlich wirkt. Rowan Hellier singt das Sandmännchen glasklar und Tamara Iwanis das Taumännchen ebenso. Exzellent und tonrein singt und spielt ganz entzückend der große Kinderchor des Hauses, der von Wolfgang Götz ganz vortrefflich vorbereitet wurde.

Beim Mozarteum-Orchester Salzburg unter Adrian Kelly wird der spätromantische, von Wagner beeinflusste Orchestersatz, der mit Elementen der Volksmusik verbunden ist, mit seiner sprechenden Natur- und Waldschilderung  wenig schillernd und mit teils recht unnachgiebigen, straffen Tempi, aber sehr gekonnt und klangschön musiziert. Leider werden aber nicht alle delikaten Feinheiten der Partitur ausgekostet.

Dem Publikum, darunter auch sehr viele Kinder, im vollen Haus hat es gefallen. Es jubelt.

Helmut Christian Mayer